Der Vater meiner Kinder

Gegen die Wand, und dahinter weiter
Mit »Der Vater meiner Kinder« schaut Mia Hansen-Løve einem Filmproduzenten beim Untergehen zu. Ihr sanft vorwärtsdrängendes Drama interessiert sich trotzdem mehr für emotionale Schattierungen als für Finalität.

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Wie der Mann schon den Film betritt: der Anzug elegant, aber ein bisschen abgetragen, das Ohr am Handy fest geschweißt, bis die Polizei ihm ein paar Szenen später wegen Raserei den Führerschein wegnimmt. Grégoire Canvel (Louis-Do de Lencquesaing) ist Hasardeur von Beruf. Statt mit giftigen Wertpapieren handelt er mit Kulturgütern. Grégoire ist Kunstfilmproduzent, ein passionierter Mitspieler in der kleinteiligen wie unberechenbaren Ökonomie des internationalen Arthouse- und Festival-Kinos. Kopfüber und nicht ohne Irrwitz tauchen die ersten Szenen in den ganz normalen Wahnsinn eines Produzentenalltags ein (Hilferufe vom Dreh in Schweden! Hotelbuchen für die anreisenden Koreaner!), der erst allmählich als Abwärtsspirale kenntlich wird: Nie würde er den Katalog seiner bisherigen Produktionen verkaufen, erklärt Grégoire beim Lunch einem Kollegen. Zu dem Zeitpunkt sind dieselben Filmrechte aber längst schon als Sicherheiten verpfändet.

Angelehnt ist die Figur des Grégoire bei Humbert Balsan, der über 60 Filme produzierte (darunter Arbeiten von Claire Denis, Youssef Chahine und Lars von Trier), bevor er sich 2005 das Leben nahm. Regisseurin und Autorin Mia Hansen-Løve lernte Balsan bei den Vorbereitungen zu ihrem schließlich 2007 realisierten Langfilmdebüt »Tout est pardonné« kennen. Am vorliegenden Zweitling besticht, dass er trotzdem weder pikanter Schlüsselfilm zu sein versucht noch feierliche Verneigung. Eher interessieren sich Hansen-Løves sanft vorwärtsdrängende Szenenfolgen für Schattierungen: etwa das Gemisch aus Stolz, Panik und Selbsttäuschung, mit dem Grégoire seiner verfahrenen Situation begegnet, oder wie die immense Belastung das private Glück mit Frau (Chiara Caselli) und Töchtern überlagert, ohne es deshalb völlig zu verdecken.

Diesen Blick für emotionale Ungleichzeitigkeiten behält der Film auch bei, wenn er sich nach der ersten Hälfte noch einmal neu zusammensetzt: Nachdem sich Grégoires Drama zur Filmmitte mit einem tödlichen Knall entlädt, wechselt »Der Vater meiner Kinder« den Fokus, weitet sich um Teenager-Tochter und Ehefrau zum Ensemblefilm. Dabei nähert er sich deutlicher den Gepflogenheiten französischen Ensemblekinos an, unterwandert aber auch hier das Offensichtliche. Die diskrete Genauigkeit, mit der Hansen-Løve sich durch das heikle Terrain einer Trauererzählung bewegt, ist genauso beeindruckend wie der dramaturgische Druckkochtopf der ersten Hälfte.

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