Bosnien

Greifbares Grauen
Joe Sacco ist international mit seiner stilistisch und inhaltlich einzigartigen Verarbeitung von Reportage-Inhalten im Comic-Format bekannt geworden. »Bosnien« (im englischen Original »Safe Area Gorazde«) ist nun in deutscher Übersetzung bei Edition Moderne erschienen.

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Sacco berichtet in »Bosnien« von den Kriegsereignissen in und um die bosnische Stadt Gorazde, die während des Bosnienkriegs zur UN-Schutzzone erklärt wurde. Auf der sogenannten »blauen Straße« der UN, die mitten durch serbisches Territorium führte und die einzige Verbindung zur sonst abgeschnittenen Stadt bildete, reiste Sacco als Journalist mehrmals nach Gorazde. Ein Privileg, denn den Einwohnern der Stadt war die Benutzung der UN-Straße verwehrt.

Gorazde konnte man vor dem Krieg als unauffällige, multi-ethnische und multi-religiöse Gemeinde beschreiben, in der katholische Bosnier, christlich-orthodoxe Serben und bosnische Muslime Tür an Tür wohnten und friedliches Zusammenleben eine Selbstverständlichkeit war. Die verschiedenen nationalen und religiösen Zugehörigkeiten spielten im alltäglichen Zusammenleben kaum eine Rolle. Politisch stellte sich die Situation allerdings anders dar: Eine wichtige Grundvoraussetzung der post-jugoslawischen Konflikte bestand in der territorialen Verteilung der verschiedenen Volksgruppen. Serben bildeten sowohl in Kroatien als auch in Bosnien starke Minderheiten. Nationalismus und die Instrumentalisierung der problematischen Geschichte des Verhältnisses der Balkanvölker führten – in der Kurzbeschreibung einer Comic-Rezension – schließlich zur Eskalation und einem grausamen Bürgerkrieg.

Sacco versucht in seinem Werk mehr als nur eine journalistische Perspektive einzunehmen. Er beschreibt zwar den politischen Kontext, im Mittelpunkt stehen jedoch die Erzählungen der Bewohner Gorazdes und seine eigenen autobiografischen Erlebnisse, die über ihre individuelle und biografische Relevanz hinaus Einblicke in die Psychologie dieses Krieges geben, die vielen Außenstehenden schlichtweg irrational anmuten muss. Die Schilderung der Kriegsereignisse beginnt so mit einem irritierenden massenpsychologischen Phänomen – der langsamen Distanzierung und dann ganz plötzlichen Abschottung der Bevölkerungsgruppen in Gorazde – einige serbische Nachbarn verlassen in der Nacht die Stadt, andere lagern Waffen ein, manche von ihnen wähnt man später unter den Scharfschützen, die ihre eigene Stadt von den nahe gelegenen Hügeln aus beschießen…

Was Sacco in der Beschreibung der weiteren Kriegsereignisse leistet, ist graphisch beeindruckend und inhaltlich erschreckend: Es werden Geschehnisse visualisiert, die sich einer reinen Fakten Dokumentation meist entziehen, aber in irgendeiner Form gezeigt werden müssen, um zu verstehen was »Krieg« sein kann: Einer Gruppe von Menschen wird nach der Reihe die Kehle durchgeschnitten, bevor sie in den Fluss geworfen werden. Eltern müssen der gleichgültigen Ermordung ihrer Kinder zusehen, in der unmittelbaren Erwartung ihres eigenen gewaltsamen Todes. Gorazde wird von den Serben angegriffen und sämtliche Zivilisten müssen im Kugelhagel versuchen, am Boden kriechend aus der Stadt zu entkommen – für diejenigen die den Fluss lebend erreichen, wird sich die Flucht noch stundenlang im kalten Wasser fortsetzen…

Sacco bewegt sich in den Fußspuren eines Art Spiegelman, der mit dem weltberühmten »Maus« die dramatische Wirklichkeit der NS-Konzentrationslager ins Comic-Format holte. Bei Spiegelman spürt man ebenfalls die doppelte Bestrebung einer authentischen Dokumentation und gleichzeitig das »Raum lassen« für subjektive Perspektiven und Empfindungen, nicht zuletzt auch die des Autors selbst.

Ebenso wie Spiegelman macht Sacco in seiner Darstellung kaum Kompromisse. Das Comic-Format mildert das Grauenvolle nur ins visuell Erträgliche, die Wirklichkeit hinter den Bildern ist aber stets präsent. Wie Spiegelman gelingt auch Sacco das Unwahrscheinliche, das Comic-Genre so zu nutzen, um eindringlicher als viele Fernsehdokumentationen und Sachbücher ein historisches Ereignis in unmittelbare, moralisch und emotional wieder relevante Nähe zu rücken.

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