Der Tod kommt als flauschiges Kuschelmonster verkleidet. Destroyer schreiben mit „Kaputt“ eine Parabel auf die Zeit nach der Krise.
Soft Rock und Saxofone – wer hat sie nicht vermisst? Nein, niemand? Nun, auf dem mittlerweile neunten Album von Destroyer sind sie überall. Die Soundwelten von Wellness, billigen Werbesendungen und schlechtem Radio sind auf „Kaputt“ aber nicht einfach nur Mittel um liberal-schöngeistige Eltern mit Hassobjekten ihrer Studentenzeit zu erschrecken. Stattdessen folgen sie der Logik unsrer Gegenwart, einer Zeit nach der Krise.
Dabei klingt „Kaputt“ erst einmal nicht wie das aktuell brandheiße Ding, sondern nach vergangenen Tagen. Die Gitarren sind weich und unverzerrt, die Bässe bundlos wie bei den schlimmen Jazzrocker-Buben, der Sound sauber und gedämpft. Noch dazu verstärken Trompeten, flauschig-gefühlige Intros und fein gewobene Echos den Kuschelfaktor. Die Vorbilder für diesen geschmeidigen Erwachsenen-Pop heißen etwa Prefab Sprout, Roxy Music oder Fleetwood Mac. Oder Ariel Pink. Die hatten letztes Jahr im großen Stil die Flucht nach hinten eingeläutet. Dabei hat Nostalgie zu Unrecht einen schlechten Ruf. Sie war nicht immer nur das Zeichen einer visionslosen Gegenwart, oder ein Symptom des kollektiven Innehaltens, sondern immer auch Antriebsfeder großer Kunst – nachzulesen etwa bei Marcel Proust und „Die Suche nach der verlorenen Zeit“.
Towards Death’s Embrace
Soft Rock und Saxofone sind auf „Kaputt“ nicht ironischer Selbstzweck. Auf die flauschige Oberfläche haben Destroyer alle Abscheulichkeiten der Welt gebettet. In „Song For America“ singt eine soulige Frauenstimme zu einem federweichen Beat: Winter, spring, summer and fall, Animals crawl towards death’s embrace.
Dan Bejar schreibt sich assoziativ und mit unglaublich evokativen, aber auch komischen Bildern das Leid von der Brust. Immer wieder baut Dan Bejar so extreme Diskrepanzen zwischen Text und Musik auf, lässt beide sich ultimativ aneinander reiben und dialektisch in etwas anderes umschlagen. Schon die Flaming Lips sangen zu euphorischen Melodien und opulenten Fake-Prog-Rock-Symphonien von Tod und Verderben. Destroyer tun es ihnen gleich.
Bei einem der niederschmetterndsten Songs der letzten Jahrzehnte „Suicide Demo For Kara Walker“ hat Dan Bejar Texte der schwarzen US-Künstlerin Kara Walker umgeordnet und neu zusammengesetzt. Kara Walker, geboren 1969 und vom Time Magazine 2007 unter die 100 einflussreichsten Künstler und Entertainer weltweit gewählt, hatte Dan Bejar unzählige Textkärtchen für einen seiner Songs geschickt. Herausgekommen ist eine achteinhalb-minütige Collage darüber was es heißt eine schwarze Frau in den USA zu sein, heute und überhaupt in den letzten 400 Jahren Unterdrückung. All das garniert mit New Age Synths, einem schwülstigen Intro und den Panflöten aus Mamas Lieblingstherme. Äh…?
Status Quo Vadis?
In den USA ist unterdessen eine Zeit großer ideologischer Verunsicherung angebrochen, zwischen unbedingtem Liberalismus, sozialen Reformen in der Obama Nation und den reaktionären Ideen der Tea Party. Es sind betäubende Tage, die ebenso zerrissenen Songs einen idealen Boden bieten, Songs, die zwischen dem Weichen (Musik) und dem Harten (Text) oszillieren. Im Postkrisen-Pop von Destroyer sind die Songs und Strukturen wieder stabil, wie in einer traumhaften Zeit vor unserer Gegenwart, als wären die Versprechungen des Kapitalismus immer noch die gleichen, als hätten sich die Regeln trotz des Zusammenbruchs der großen Investment Banken nicht geändert; was sie ja auch nicht getan haben. All der Konsum hat uns Wohlstand gebracht und mittlerweile wissen wir wieder einmal wohin dessen Exzesse führen können. Aber nachdem wir immer noch keine besseren ökonomischen Systeme erfunden haben – ja, es geht immer noch um ein Popalbum –, bleiben wir dabei. Bei den Sounds von Dauerwerbesendungen und Einkaufszentren. Destroyer haben sich mit „Kaputt“ in den frühen Siebzigern festgebissen, und damals war der Kapitalismus ja doch echt noch in Ordnung. Sagt die Musik. Die Texte von Dan Bejar sagen etwas anderes.
Destroyer ist im Gegensatz zu jenen zappeligen Gitarren, die vor fünf Jahren aus allen Boxen bebten, zu Bands wie Franz Ferdinand und Mando Diao absichtlich bieder und weich, ein ideologisches Niemandsland. Die Sounds des kommerziellen Systems sind angepasst, die Verweigerung passiert über die Songtexte. Auf der Suche nach einem Ausweg ist man bei Destroyer also immer schon ein Teil des Problems. So wie die marxistischen Gang Of Four mit dem Titel ihrer ersten Platte („Entertainment!“) schon klar gemacht haben, dass jeder Revolutionsversuch innerhalb der Musikindustrie wieder nur Entertainment sein wird. „Kaputt“ ist insofern auch ein Versuch des richtigen Lebens im falschen. Die Diskrepanz zwischen der weichen Musik und den harten Texten könnte es immer geben, nur sagt sie gerade eben jetzt besonders viel über unsre Gegenwart aus. Und es ist ein ganz enormes Album, eines, das wegen seiner Zukunfts-Vergessenheit auf unsre mobilen Devices gehört wie kein zweites.
„Kaputt“ von Destroyer ist bereits via Merge erschienen.