Ausstieg in den Abstieg
Die Zeichnerin Ulli Lust, seit mehreren Jahren wohnhaft in Berlin, veröffentlichte mit „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ einen autobiografischen Comic, der den ebenso kompromisslosen wie naiven Ausbruch aus der Bürgerlichkeit und das Verlassen ihrer damaligen „Heimat“ Österreich zum Thema hat.
Es ist das Jahr 1984, die 17-jährige Ulli Lust ist mittendrin in der Wiener Punkszene: Ein Leben zwischen Schwedenplatz und WUK, inklusive Zigarettenschnorren, provozierten Konfrontationen mit Skinheads und authentischem Punk-Look. Ohne große Überlegungen beschließt die 17-Jährige gemeinsam mit ihrer Freundin Edi, nicht nur vor den Zumutungen der bürgerlichen Gesellschaft, sondern auch vor dem Wiener Winter nach Italien zu flüchten – und zwar illegal über die grüne Grenze. Es beginnt ein zweimonatiger Trip durch Italien, ohne Pass, ohne Geld und ohne bestimmtes Ziel.
Ihr Weg führt die beiden Freundinnen über Verona, Rom und Neapel bis nach Sizilien. Nach dem mühsamen Marsch über die grüne Grenze sind sie auf die Hilfe von Einheimischen angewiesen – sie brauchen eine Mitfahrgelegenheit, etwas zu Essen, einen Schlafplatz – und erkennen schnell, dass die meist erwartete Gelegenleistung in sexuellen Diensten besteht. Im Süditalien der 80er Jahre herrscht eine widersprüchliche Sexualmoral: Der voreheliche Geschlechtsverkehr bei Frauen wird tabuisiert und sanktioniert, während die jungen Männer sich nur kräftig „die Hörner abstoßen“ sollen. Vor diesem Hintergrund werden die mittellosen ausländischen Frauen zum Zentrum der sexuellen Aufmerksamkeit und wiederholt zu Opfern sexueller Ausbeutung. Nur einige kurz andauernde Bekanntschaften mit anderen Punks, Straßenmalern und sonstigen Reisenden helfen Ulli, den Kopf über Wasser zu halten, um ihren Status als Subjekt muss sie aber in allen Beziehungen zu Männern ringen. Schließlich erkennt Ulli, dass sie die Reise abbrechen muss, wenn sie sich selbst nicht ruinieren will und beschließt, nach Wien zu ihren Eltern zurückzukehren.
Ulli Lusts autobiografisches Comic wird so zu weit mehr als nur einem mitreißenden Erlebnisbericht – es verarbeitet den schwierigen Prozess der Selbstfindung einer jungen Aussteigerin, die erkennen muss, dass die Abkehr von bürgerlicher Moral manchmal bedeuten kann, ihren Auswüchsen nur noch direkter ausgesetzt zu sein.