Hunger

Selbstopfer im Erzählgefängnis

Videokünstler Steve McQueen zeichnet in seinem Kinodebüt einen Hungerstreik nordirischer Freiheitskämpfer von 1981 nach. Die Kompositionen sind streng, die Eindrücke stark, der Fokus problematisch eng.

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Willkommen im Politkino der strategischen Ambivalenz! Nach „Inglourious Basterds“ – einem Anti-Nazi-Thriller im Modus eines cinephilen Metakommentars – und „The Hurt Locker“ – einem hyperkonkreten Actionfilm, der sich als Ansage über die US-amerikanische Irak-Besatzung zugleich anbietet und permanent durchstreicht – überrascht „Hunger“ (fertig gestellt bereits 2008) auch nicht mehr: Eine der kontroversesten Episoden des Nordirland-Konflikts wird darin als formal reflexives, in der politischen Sache indifferentes Planspiel nachinszeniert. Videokünstler und Turner-Preisträger Steve McQueen fräst in seinem Kinodebüt den Hungerstreik gefangener IRA-Mitglieder im Staatsgefängnis The Maze anno 1981, der im Freitod von zehn Gefangenen eskalierte, aus seinem größeren politischen Zusammenhang. Bis auf einige unversöhnliche Soundbites von Margaret Thatcher- Reden bleibt der Antagonismus zwischen britischer Regierung und nordirischer Autonomiebewegung reduziert auf die Gesten, Haltungen und Wahrnehmungen eines eng begrenzten Figurenpersonals. Eingefangen werden diese in irreal klaren Kompositionen (exzellente Kamera, exzellentes Licht: Sean Bobbitt): Widerstand, das sind hier drei trotzige Urinlacken, die unter Gefängnistüren hindurch am Gang zusammenfließen. Oder die flinken Handgriffe, mit denen bei Angehörigengesprächen geheime Nachrichten und Päckchen ausgetauscht werden. Wiederholt taucht ein Gefängniswärter seine schmerzenden Hände in kaltes Wasser: Die Knöchel sind vom Schlagen zerschunden. Geredet wird wenig. Politisch-moralische Wortduelle, ein Standard britischen Politkinos, hebt sich McQueen für eine einzige Sequenz auf: Deren Setzung ziemlich genau in der Mitte des Films und ihre virtuose Umsetzung verraten viel über den athletischen Formalismus des Films. In einer ununterbrochenen, statischen Viertelstunden-Einstellung und fast screwball-haft gedrängten Dialogkaskaden rattern der IRA-Intellektuelle Bobby Sands (Michael Fassbender, der britische Lieutenant aus den „Basterds“) und ein robuster Priester (Cunningham) Argumente pro und contra politisches Selbstopfer herunter.

Von da an verfolgt der Film in quälend detaillierten Vignetten den allmählichen körperlichen Verfall des hungernden Sands’, dessen Tod für weltweites Aufsehen sorgte. Wie sich „Hunger“ dabei zusehends auf christliche Ikonografie sowie in Sands’ inneres Erleben zurückzieht, lässt die Hermetik des Films endgültig ins unverbindlich Spirituelle kippen. Wenn das einzelne Martyrium in keinerlei Relation mehr gesetzt wird, bleiben nur mehr eine exquisit entstellte Leiche und protzige Bildmagie übrig.

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