Die Hölle, das sind die anderen. Das gilt heute mehr denn je. Und Neurosis sind sowieso die obersten Posaunisten der zwischenmenschlichen Endzeit.
Die Texte von Neurosis sind altmodisch. Blut, Augen und Träume, Wind, Sand, Land und Fluss, Teer und Leben, Gott und das Wort, Tempel und Vernunft – Neurosis mussten nie in Wörterbüchern Roulette spielen, um ihre Musik mit Verstand aufzuladen. Sie schaffen das auch ohne Fremdwortmonstern. Weil sie auch so ungefähr das Gegenteil von Bier saufenden Bands wie Metallica und Megadeath waren. Horror war bei ihnen keine überzeichnete Collage aus Totenköpfen, sondern eine menschliche Grenzerfahrung, laut, schwer, dröhnend, blutig und knöchern, nur ohne nervigem, existenziellem Pathos. Die Hölle, das waren und sind die anderen. In den Neunzigern standen sie am Beginn von Sludge Metal, der bis heute viele Anknüpfungspunkte für Leute bietet, die ansonsten mit harten Jungs und ihren harten Gitarren nicht so viel anfangen können – von Postrock und Ambient, Progressive, Hardcore und Southern Rock.
Fünf Jahre sind seit dem Vorgänger vergangen, und während die Welt sich einmal auf den Kopf stellte, haben sich Neurosis selbst fast nicht verändert. Obwohl es da draußen genug Stoff für epische Dramen gäbe, und auch im Artwork von Kühltürmen und Kreuzen über Ruinen und Staatsmacht einiges angedeutet wird, behalten Neurosis ihre Methode bei. Steve Albini sitzt wie die letzten vier Alben an den Reglern. „My Heart Of Deliverance“ rollt in fast zwölf Minuten die Stärken der Band aus, Intro, Aufbau, Ausklingen, Dynamik, Taktverschiebungen und rhythmische Erweiterungen, ein kolossaler Refrain, brüchige Stimmungen, lange instrumentale Passagen, polternde, röhrende Wände aus Gitarren. Und obwohl die Band sich sicher nicht auf Moden oder Zeitgeist festnageln lässt oder auf den Kopf stellen will, passt sie mit ihrem klirrenden Vorbeben des Schicksals heute besser in die Welt als noch vor fünf Jahren.