Pop Is Not Dead
Auf ihrem zweiten Album pumpt Lily Allen Energie in das unkaputtbare Modell vom großen Pop.
Lily Allen hatte Probleme. Und die sind ja nicht erst seit den Pulvernasen Amy Winehouse und Pete Doherty ein Garant für Presse und Verkaufszahlen. Ein Vorwurf bedrohte jedoch Allens Glaubwürdigkeit: Wenn Jungs und Mädels aus gutem Haus in England einen Arbeiterklasse-Akzent („Cockney“) vortäuschen („mock“), weil sie glauben, dass sie damit geerdeter und weniger abgehoben wirken, dann werden diese folgerichtig als „Mockneys“ bezeichnet. Anderen Prominenten wie Jamie Oliver, Mike Skinner und Damon Albarn konnte diese Kritik nicht dauerhaft schaden. Doch das Image kann schnell dahin sein und Allen tat gut daran zu reagieren.
Nach ihrer Nummer Eins „Smile“ im Jahr 2006 und einer Schwemme von Kollaborationen geht sie zum Gegenangriff über. Der urban-multikulturelle Anstrich des Debüts ist dahin. So wie die Ska-Einflüsse ist auch Mark Ronsons Retro-Soul verschwunden. Produzent Greg Kurstin fertigte für Allen unerwartet facettenreiche Musik an, die zwar jederzeit als Pop mit seinen eingängigen Mitsingern funktioniert, aber in verschiedenste Richtungen ausfranst und ideenreich arrangiert ist. Hört man genauer hin, sind vor allem Music Hall und Baroque Pop auf den aktuellen Stand der Technik gebracht worden. „Never Gonna Happen“ bringt gar eine langsame Polka mühelos ins Pop-Universum. Und wie schon beim letzten Album stehen Lily Allens mitunter recht explizite Texte in Kontrast zum süßen, musikalischen Treiben. Genau das ist ja inzwischen gar nicht mehr neu.
Katy Perry, Kate Nash und Pink geben die Linie vor. Pop funktioniert inzwischen als weibliches Modell. Die Boygroups der 90er sind verschwunden. Casting Shows haben – neben einigen Unsäglichkeiten – eben auch die Perspektive der Rezipienten verändert. Die klassische Hauptzielgruppe von Pop, nämlich adoleszente Mädchen, ist nicht wie früher zum Schmachten und Kaufen der Devotionalien verdammt, sondern fühlt sich in eine aktive Rolle ein. Dadurch verschwinden natürlich noch nicht die Probleme derjenigen, die jetzt selbstbewussten weiblichen Vorbildern nacheifern dürfen. Figuren wie Britney Spears werden nach wie vor vom Markt gefressen und ausgespuckt. Aber mit Lily Allen setzt sich eine weitere starke Frauenpersönlichkeit in den Jugendstuben fest. Fergie, Scherzinger, Aguilera und Rihanna übernehmen nicht ganz so eindeutige Rollen. Lily Allen verkörpert dabei noch stärker einen Wandel – das Leben nach den eigenen, selbst gesetzten Regeln. Und das mit besser gewürzter Musik als die anderen.