J. Edgar

Gelungenes, kühl gehaltenes Porträt über einen der mächtigsten Männer in den USA des 20. Jahrhunderts. Die beliebte Paranoia/Verschwörungs-Schublade bleibt dabei geschlossen.

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Wenn Männer der Macht einander küssen, gibt es üblicherweise nur streng zeremonielle Optionen: Judaskuss, Ringkuss oder (sowjetischer) Bruderkuss. Anders in »J. Edgar«: Hier ist es ein liebevoller Kuss auf die von Altersflecken übersähte Stirn, den Amerikas einst mächtigster Mann, FBI-Legende J. Edgar Hoover, seinem Weggefährten/Freund/verschmähten Liebhaber Clyde Tolson aufdrückt. Was ist Liebe? Wie hält man sie im Zentrum der Macht aufrecht? Und wann geht beides unwiderbringlich zu Ende? Clint Eastwood nutzt dafür weniger die innenpolitischen Fieberkurven der US-Zeitgeschichte – der Tod Kennedys kommt erstaunlich lapidar daher – als vielmehr die Person, die über die Amtszeit von acht US-Präsidenten hinweg die Fäden, vor allem aber deren Geheimnisse in den Händen hielt: J. Edgar Hoover. Ihm heftet er sich auf die Fersen, vom jungen übereifrigen Angestellten der Justizbehörde über den Gläubigen und Wegbereiter der Forensik bis zum kaltblütigen selbsternannten Beschützer der US-Gesellschaft vor Gangstern, Entführern (Charles Lindberg-Entführung) und Kommunistenverschwörung. Nicht draußen, auf der Augora der Macht, reflektiert Eastwood diese Entwicklung, sondern fast durchgehend in geschlossenen Räumen. Ob in den Räumlichkeiten des FBI, dessen Anfangsjahre gemessen an heutigen FBI-Mythologien nahezu bedürftig wirken, oder zu Hause bei J. Edgar, wo dieser mit dessen dominanten Mutter zusammen lebt und leidet. Eastwood, und das macht den Film interessant, schert sich wenig darum, »was die Leute sich so erwarten«: Natürlich geht es im Film auch um die Macht und deren Missbrauch, natürlich bleiben Hoovers Paranoia und dessen hinterlistige Akten-Sammlung zwecks Erpressung unangenehmer Personen nicht unerwähnt, aber eigentlich geht es in Eastwoods –wievieltem? – Alterswerk um das Phänomen unglücklicher Liebe und deren Zumutung. Auf DVD leider mit belanglosem Bonusmaterial versehen.

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