Auf „Kisses On The Bottom“ stattet McCartney der glorreichen Swingära einen nostalgischen Besuch ab und erfüllt damit einen Kindheitstraum.
Mit seinem mittlerweile 16. Solo-Studioalbum begibt sich Paul McCartney auf eine sentimentale Zeitreise in seine Kindheit und vermittelt dabei einen intimen Einblick in die musikalischen Anfänge des Beatles-Genies. Er widmet sich jener Musik, die ihm einst sein Handwerk lehrte. Mit „Kisses On The Bottom“ wagt sich McCartney an das mutige Experiment die geheimen Schätze, eher unbekanntere doch nicht weniger glanzvolle Lieder des Swings wieder zum Leben zu erwecken. So fanden nicht nur Raritäten wie Frank Loessers „More I Cannot Wish You“ ihren Platz auf der Platte, sondern auch alte, persönliche Erinnerungsstücke, die bereits McCartneys Eltern bei ihren traditionellen Neujahrsfeiern im familiären Kreis gesungen haben.
Kaum ein anderes Genre nahm damals eine solche gesellschaftliche Rolle ein wie der Swing, der eine vom Krieg gebeutelten Generation wieder Hoffnung, Selbstverstrauen und Lebensfreude zurückgab. Der unvergleichliche Charme jener Songs, die gerade durch ihre reduzierte Form bestechen, die Natürlichkeit, und die von Wortwitz und Selbstironie durchzogenen Texte erklären die Magie dieser Musik. Dazu kommen die unverschämt schmalzigen und rührseligen Streicher, die weichen Percussions, das ewige, rasselnde Rauschen der Drums und das wehklagende Piano als schillernder Protagonist der Komposition.
Das zentrale Thema sind die verschiedenen Formen der Liebe. Sam Cooke’s „Get Yourself Another Fool“ erzählt von der unerfüllten Liebe („You said that you love me. I was yours to command. But your kind of love my heart couldn’t stand. Use me for a tool, get yourself another fool“), doch wenn McCartney Billy Hill’s „The Glory Of Love“ zitiert („As long as there’s the two of us. We’ve got the world and all it’s charms. And when the world is through with us. We’ve got each other’s arms.“), erinnert er uns an die alles überwindende Macht der großen Liebe und mahnt zugleich, dass wo Liebe auch stets Leid zu finden ist: „You’ve got to win a little, lose a little. Yes, and always have the blues a little. That’s the story of, that’s the glory of love.“
Herzstück der Platte ist „My Valentine“, das einzige Lied, das aus McCartneys eigener Feder stammt und von Eric Clapton begleitet wird. Doch auch die andere, vor Energie und Lebenseuphorie strotzende Seite des Swings kommt nicht zu kurz. In Johnny Mercer’s „Ac-Cent-Tchu-Ate The Positive“ besingt Paul McCartney mit lässigem Pfeifen, einer altersgerechter Coolness und Gelassenheit, die Leichtigkeit des Seins: „You got to accentuate the positive. Eliminate the negative. And latch on to the affirmative. Don’t mess with mister inbetween. You got to spread joy to the maximum. Bring gloom down to the minimum”. McCartney blickt nicht zurück und interpretiert in Retrospektive, sondern verkörpert und lebt das Zeitgefühl dieser Ära. Es ist mehr ein Hineinfühlen und Erinnern als ein Schaffen und Konstruieren.