Mind Bokeh

Endless Summer
Verwurschtelter Pop im Unschärfebereich. Ein Sommeralbum, schon wieder, aber ein ziemlich gutes.

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Boards Of Canada und Sommer, diese zwei Begriffe sind in Zusammenhang mit der Musik von Stephen Wilkinson alias Bibio nicht nur einmal gefallen. Fünf Alben hat der britische Produzent bisher veröffentlicht, zwei davon bereits auf Warp. Auch beim sechsten Streich bleibt er seinen wenn auch nicht als Soundcollagen, so aber doch als komplexe Klangkosmen zu bezeichnenden Songs treu. Als »Bokeh« bezeichnet man den absichtlich unscharf gehaltenen Bereich eines Fotos. Dementsprechend scheint Bibio bei »Mind Bokeh« das Abdriften der Gedanken, bei welchem man sich beim Zuhören immer wieder ertappt, beabsichtigt zu haben, auch wenn er selbst immer scharf fokussiert und seine Tracks nie aus den Augen verliert. Sie also nicht belanglos dahindudeln oder beliebig werden lässt, sondern eher auf hohe Komplexität und auf das Übereinanderschichten zahlreicher Spuren Wert legt. Unsere Gedanken werden indes in ferne Länder getrieben, durch Filmszenen auf Gewürzmärkten, zu Open-Air-Popkonzerten und an weiße Strände. Und unter Wasser, denn auch diese Stimmung zieht sich als roter Faden durch die zwölf Songs, das Gefühl, im seichten Meer zu planschen, ob es nun durch Gitarrenakkorde, Handclaps oder elektronische Wasserblasen aus dem Glockenspiel ausgelöst wird. Wieder verarbeitet Bibio Field Recordings von gefüllten Glasflaschen bis Percussions, diverse Sitarklänge und (verfremdete) Gitarren zu verkopften Songstrukturen, diesmal auch unter Verwendung seiner Stimme. Neu nämlich ist auf »Mind Bokeh« die Verstärkung des Popappeals. Bei »Take Off Your Shirt« könnte man streckenweise tatsächlich meinen, sich auf einem Phoenix-Album zu befinden, oder irgendwo in der Nähe von Tahiti 80, in manch anderen Momenten ist er mehr Aphex Twin als Boards Of Canada. Denn unter beinahe allen Songs ziehen sich gebrochene, verdrehte Beats (dubsteppig gar in »Artists Valley«), die die Musik am Boden und im Bewusstsein verankern und vor zu viel Luftigkeit bewahren. Immerhin sprechen wir immer noch von einer Warp-Platte. Wie er aus derart zahlreichen gefühlten Spuren, Einflüssen und verwurschtelter Komplexität ein ziemlich stimmiges Popalbum macht, das hohe Ansprüche befriedigt und gleichzeitig Entspannungsgefühle auslöst, wobei es selbst in keiner Sekunde belanglos wird, ist seine große Kunst. Bleibt nur zu hoffen, dass die Bobolokale dieser Welt Bibio nicht für ihre Samstags-Brunch-Sessions entdecken.

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