MPD-Psycho

Ich bin viele

Kultregisseur Takashi Miike versuchte den Stoff von Eiji Otsuka und Sho-u Tajimas “MPD-Psycho” als Fernsehserie zu bringen – das Manga ist unübertreffbar.

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Weißer Hintergrund. Undefiniertes, unbestimmtes Etwas oder Nichts. Keine räumliche, keine zeitliche Zuordnung. Keine erkennbaren Verbindungen. Das ist es, was man die meiste Zeit hinter den Charakteren von Eiji Otsukas und Sho-u Tajimas „MPD-Psycho“ sieht: das blanke Papier, das man in Händen hält. Jegliche Konversation findet in Distanz statt, eine Distanz, die man nicht messen kann, weil es keinen Rahmen und Maßstab dafür gibt. Aber gleichzeitig auch eine zwischenmenschliche Distanz ist. Intime Moment erscheinen kalt und mechanisch, denn sie referenzieren nichts. Gerade eben mal der Gesichtsausdruck der handelnden Personen gewährt etwas mehr Einblick. Bestimmte Hintergründe tauchen selten auf, meist nur um einen Ort oder eine Aktivität zu etablieren. Meist nur in ein oder zwei Panels, genug um zu wissen wo man sich befindet, bevor sie wieder durch weiß ersetzt werden. Und man sieht solche Hintergründe auch dann wenn eine Leiche zu sehen ist. Denn das ist vielleicht eine der Kernthemen von „MPD-Psycho“: der Mensch und seine Angst vor anderen Menschen und dem Tod. Versinnbildlicht durch den Protagonisten, einen Ex-Kriminalbeamten, der an dissoziativer Persönlichkeitsstörung leidet.

Man lernt ihn zuerst als Yosuke Kobayashi kennen, sieht ihn dann die meiste Zeit als Kazuhiko Amamiya, erfährt von Shinji Nishizono und einigen anderen Persönlichkeiten, die in Amamiya stecken. Amamiya oder wie immer er auch heissen mag, denn weder er noch der Leser wissen, wer er wirklich ist. Amamiya wird für den Mord an einem Serienmörder ins Gefängnis gesteckt, bei seiner Entlassung wartet eine ehemalige Kollegin auf ihn, um seine Dienste für ihre private kriminologische Beratungsfirma zu engagieren. Ab hier beginnt „MPD-Psycho“ – das „MPD“ im Titel steht für „Multiple Personality Disorder“ – einen spiralförmigen Tanz zwischen unerbittlich hartem Thriller und herausforderndem Sci-Fi Verschwörungswahn. Grausame Morde flackern in der ganzen Stadt auf und die Mörder haben eines gemeinsam: in ihrem linken Auge befindet sich ein Barcode. Eine Gemeinsamkeit, die sie auch mit Amamiya teilen.

Der zentrale Anker in „MPD-Psycho“ ist der Tod. Die Leichen. Im Gegensatz zu herkömmlicher Mangakost, wo man Gewalt und Tod entweder völlig überzeichnet oder in äußerst romantisierter Form vorgesetzt bekommt, zeichnet Sho-u Tajima Leichen. Entstellte, auf abscheulichste Art und Weise dem Tod zugeführte Leichen, ja, aber dennoch nur Leichen. Trocken. Hart. Schenkt er den Leichen vielleicht genau daher Hintergründe? Versucht Tajima damit den Tod in Referenz zum Leben zu bringen, wo doch alle Lebenden ohne Hintergrund agieren müssen? Dem Tod wortlos seine Macht, seine undefinierbare überwältigende Macht zu nehmen? „MPD-Psycho“ fesselt und schockiert. Und zwischen den Schichten und Schichten an weißem Papier, die man da umblättert, lauern da immer diese Fragen: „Bist du ein Mensch? Hast du Angst vor dem Tod?“ – jetzt schon ein Manga-Meilenstein.

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