1970 ringt seine Mutter mit Krebs, seine Cousine und dritte Frau will ihn verlassen. Der Killer schwört weltlicher Musik ab, kämpft um seine Seele.
1970 ist Rock’n’Roll nicht mehr das, was er einmal war. Die erste Welle der British Invasion war bereits durch die USA gerollt, Rock hatte gezeigt, dass er auch intelligent und anspruchsvoll sein konnte, Prog und Art Rock imitierten den Gestus klassischer Musik, Funk und Soul verstärkten schwarzen Eigensinn. Der Zauber von angeeignetem Rhythm & Blues war cirka zehn Jahre früher verflogen. Die alten Jugendidole machten dennoch weiter.
Diese Aufnahmen vom 20. Dezember 1970 in einer Kirche in Memphis sind zwar musikalisch unspannend, biografisch dafür umso mehr. Jerry Lee Lewis war zu dem Zeitpunkt gerade 35 Jahre alt, seiner Mutter war Anfang des Jahres Lungenkrebs diagnostiziert worden und die Frau, die er geheiratet hatte als sie gerade dreizehn war und noch dazu seine Cousine, dachte ernsthaft daran, ihn zu verlassen.
Wenn Jerry Lee Lewis also zwischen den fleischigen Gospels und sakralen Beats davon spricht, dass Jesus ganz real ist, dass man sich zwischen Gott und Teufel entscheiden muss, dass er selbst entschlossen ist und ihn nichts stoppen kann in das Reich Gottes zu kommen, dann glaubt er das. In diesem Moment. Dabei war er selbst – wie auch viele Soul-Sänger – immer zwischen der weltlichen Vierung und der himmlischen Trinität zerrissen, lebte Schuld und Sühne. Drei Tage zuvor hatte er geschworen keine weltliche Musik mehr zu machen, hatte sich ganz der Sühne verschrieben. Auch das Booklet beschreibt diesen Zwiespalt und Moment aus dem Leben des Killers sehr griffig. Vor 25 Jahren wurden diese 20 Songs zum letzten Mal veröffentlicht. Vor allem die halb spontanen Predigten, das leicht zurückhaltende Publikum, der sonst so räudige, kontroversielle Lewis als reuiges Lamm Gottes machen diese Wiederveröffentlichung interessant, zeigen den großen Ausgestoßenen der Rock’n’Roll-Revolution von einer kaum bekannten Seite. Mehr als das allerdings auch nicht.