Trans-Atlantik Express
David Guetta entfernt mit „One Love“ das Ghetto aus den Köpfen seines überwiegend weißen Publikums.
Zur Ausgangssituation: David Guetta veröffentlicht dieser Tage ein Album. Davor hat er das auch schon gemacht. House, Paris, Ibiza, Liebe in der Hose, Geld im Herzen und rauschende Partys. Das hätte noch Jahre so weiter gehen können. Doch irgendwas war anders nach seinem 2007er-Track „Love Is Gone“. Die Musik, die schon zehntausende Nächte lang in den immer gleichen Bahnen für ein zahlkräftiges Publikum ganz funktional eingesetzt werden konnte, kroch aus ihrer verspiegelten und weiß gepuderten Nische. Der Track war auch in den USA höchst erfolgreich. Und Stars aus R’n’B und HipHop klingelten immer häufiger bei dem Franzosen an.
Mit „One Love“ brechen nun wohlgehütete Dämme. Jahrelang wurden HipHop und der Dance-Mainstream nicht nur getrennt vermarktet, sondern fassten sich gegenseitig nur mit der Blechzange an. Man war speziell in den 90er, aber auch 00er Jahren mit der eigenen Identität beschäftigt. Und selbst wenn das Publikum zu vier Fünfteln aus weißen Normalos bestand, galt es auf den Codes schwarzer US-Kultur zu beharren. Bei Club-orientierten Urban-Subgenres (wie Snap Music, Hyphy, Crunk, etc.) war das schon jahrelang so. Doch spätestens 2008 haben sich die sonischen Grenzen auch ganz oben verflüssigt. Hipster Electro, Autotune, Blog House, Nu Rave, Mainstream Techno, Trance-HipHop wurden auf der Beat- und der Sound-Ebene schwerer unterscheidbar. In den Köpfen ist das noch nicht ganz angekommen. Aber das Ghetto ist durchlässig geworden. Boys Noize und David Guetta haben am letzten Black Eyed Peas Album mitproduziert. Dafür bedanken sich Pop-Acts wie Kelly Rowland (Ex-Destiny‘s Child), Ne-Yo und Akon, aber auch Kid Cudi und Estelle mit Features. Die Desegregation von schwarz-weißer Musik findet derzeit unter dem Schlagwort „Electro-Hop“ quer über den Atlantik statt. Jüngere Tracks von Dizzee Rascal und Wiley passen ebenfalls nicht mehr in das strenge Raster von Minder- und Mehrheitskultur.
Das alles auf Obama zu schieben, wäre zu einfach. Er hat nicht nur verändert, er ist auch Ausdruck einer Veränderung. Und auf einer wesentlich kleineren Ebene tun dies auch David Guetta und Co. Das ist kein ausgedachter Crossover, das sind keine öden Raps über Dancefloor-Beats wie zu Zeiten von 2 Unlimited und Snap (obwohl intellektuell nicht geklotzt wird), sondern eine Zusammenarbeit, die von beiden Seiten gewollt ist. Das ist Pop als Modell sozialer Avantgarde.