Prekär wie du und ich

Die Wiener Organisationstheoretikerin Bernadette Loacker analysiert mit ihrem wissenschaftlichen Text sehr ausführlich und auf hohem Niveau die Realität von Arbeit und Organisation im postfordistischen Arbeitsparadigma. Es können sich wohl viele in dieser Analyse der postmodernen Arbeiterschaft wiederentdecken.

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Die Realität des Kapitalismus wird nicht weniger düster – sie verschiebt sich nur. War es im 19. Jahrhundert noch das Proletariat, das unter dem aufstrebenden Bürgertum zu leiden hatte, ist es heute eine ganz andere Form des Arbeiters, die das Rückgrad des postmodernen Kapitalismus darstellt – die Kreativen. Der ideale Arbeiter von heute ist sehr gebildet, flexibel, offen, kommunikativ, teamfähig, und dennoch zielstrebig. Er ist in keinem sicheren Arbeitsverhältnis, würde das aber auch gar nicht wollen, um die eigene Freiheit nicht zu gefährden. Klingelt es? Dann willkommen in der Welt des Prekariats, wir freuen uns sehr über Zuwachs.

»Sei kreativ, agiere unternehmerisch und betrachte Dich als selbstverantwortlich!« Das ist der Leitsatz des postfordistischen Arbeitsparadigmas wie Bernadette Loacker es interpretiert.

Sie analysiert in ihrer hoch wissenschaftlichen Arbeit »Kreativ Prekär« – die sich vor allem am Poststrukturalismus eines Michel Foucaults oder Jacques Derrida orientiert – neue Strategien der Kontrolle und Steuerung, die auf Individualisierung und Konkurrenz basieren. Das moderne /Role-Model/ im Wirtschaftssystem ist der Künstler, der projektorientiert und mit Enthusiasmus an die Arbeit herangeht – diese Art der prozessorientierten Organisation geht nun also auch in andere Arbeitsbereiche über. Aber auch der Kulturbereich selbst unterliegt einem Wandel innerhalb dieses postfordistischen Arbeitsparadigmas. Die /Creative Industries/ nehmen der Kunst und Kultur ihre »Funktionslosigkeit« (Theodor Adorno) und integrieren sie als kreativer Input in das Wirtschaftssystem. Pierre Bourdieu folgend, zeigt Loacker die bevorstehende Verschmelzung des »kulturellen und ökonomischen Kapitals«. Die Trennung von /kreativ/ und /unternehmerisch/ scheint in Zukunft nicht mehr möglich.

Ein Ausweg ist schwer zu finden: Eine Bewegung, wie sie die Arbeiterschaft entwickelt hat, kann das Prekariat nur schwer erreichen, da es von Individualität und Konkurrenz geprägt ist. Aber Loacker schreibt, dass durchaus Reflexion stattfindet, die zu einer »ethischen Selbstbeziehung« und somit einer geistigen Befreiung führt. »Kreativ Prekär« kann Teil einer solchen Reflexion sein. Es ist ein Buch, das gerade für alle Betroffenen hochinteressant ist und auch die eigene Lebenssituation offenlegen kann. Leider ist die intellektuelle Einstiegshürde bei dieser Arbeit besonders hoch. Es bedarf wohl einiger Semester auf der Uni (bevorzugt ein Studium der Philosophie oder der Sozialwissenschaften), um die besprochenen Strömungen und Denker zumindest ansatzweise zuordnen zu können.

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