Man sollte das Booklet lesen. Andernfalls ist Rara nur fremdartig rauschhafte, hypnotische Musik gespielt auf Industrieschrott. Doch es ist so viel mehr.
„Ich habe vor dieser CD noch nie von Rara gehört und war auch selbst nie auf Haiti.“ Das sollte auch den meisten Lesern so gehen. Doch mit diesen Aufnahmen kann man sich wenigstens halbwegs vorstellen wie das sein muss, zu Ostern auf Haiti, inmitten eines Raras in den Straßen von Port-au-Prince. Man mische bitte in eigenem Kopf das, was man über Mardi Gras in New Orleans (ebenfalls französische Kolonialvergangenheit wie Haiti), Karneval in Sao Paolo (bunt und ebenfalls von Schwarzen miterfunden) und die Griots in Westafrika (auch Überbringer von Botschaften des Himmels und der Erde) weiß und stelle sich das in einem bitterarmen Land in der Karibik vor; einem Land, das Anfang diesen Jahres von einem verheerenden Erbeben noch tiefer in die Armut gestürzt wurde. Raras vereinen in sich verschiedenste soziale, spirituelle, politische und kulturelle Funktionen. Sie gleichen Prozessionen, ziehen durch die Straßen mit billigen, einfachen Instrumenten, die meisten nur einen Ton erzeugen können. Auf Band wirkt die Musik eines Raras monoton und wenig präzise. In einer Prozession aber ergänzen sich die Stimmen von allen möglichen Seiten, wandern, wechseln sich ab, saugen die Teilnehmenden in ihrem Soundgefüge auf. Schade nur, dass man all diese Besonderheiten nicht hören kann, sondern im Kopf ergänzen muss. Die Aufnahmen sind wie abgefilmtes Guckkastentheater, sind ein Stück Museum; und keine lebendige Gegenwart.