Parov Stelar ist Österreichs bedeutendster Musiker. Zumindest, wenn es nach den Bewohnern des sozialen Webs geht.
Disclaimer: Ja sicher, Musik ist keine Mathematik, über Geschmack kann man manchmal sogar streiten und Social Media ist überhaupt eine geschlossene Anstalt für Zwangsneurotiker und soll bitte gefälligst nicht überschätzt werden. Du sollst diese Charts jetzt nicht runterbeten und darfst Parov Stelar, Ginga, Belphegor, Chakuza, Wolfram, Gustav und das ganze eitle Gesocks weiterhin hassen, wenn du willst. Gaga und Rihanna haben schließlich auch mehr mit großartigem Pop als mit großartiger Musik zu tun, auch wenn sie die meisten Facebook-Fans überhaupt hinter sich haben. Ja, das weißt du natürlich eh selbst. Disclaimer Ende.
Trotzdem: für ein paar Kleinigkeiten sind diese Zahlen aus den sozialen Netzwerken gut. Sie rücken ein paar Missverständnisse gerade. Etwa, dass Parov Stelar schon wieder passé sein könnte, dass Soap&Skin doch nur ein Medienhype ist, dass das Wiener Songwritingwunder über die Grenzen Österreichs hinaus gekommen ist, dass die globale Nische nicht zu ganz enormer Resonanz führen kann oder dass die Popularität von Artists etwas damit zu tun hat wie stark sie in den klassischen Medien vorkommen. Äh, wie?
Methodenkritik
Bleiben wir vorerst bei den Schwächen von Social Media Charts. Jede einzelne dieser Zahlen ist mit genügend Energie natürlich manipulierbar. Facebook Fans kann man sich züchten, sich gezielt anfreunden, Aktionen planen, Ads schalten, ja, man sie sogar kaufen (1.000 Fans um rund €100.-, deutschsprachige Fans kosten mehr). Freunde oder vielleicht auch Bots können zumindest ein Grundrauschen erzeugen, damit ein Track oder ein Video über die Wahrnehmungsschwelle gedrückt werden kann. Sei das nun auf Youtube, Last.fm, Myspace, Vevo, Vimeo oder Soundcloud. Aber im Endeffekt kann es ja nur so herum funktionieren: Bands machen zu allererst gute Musik. Das entscheidet immer. Auch wenn einem diverse Social Media-Gurus etwas anderes einreden wollen. Die Produktion und die Präsentation müssen stimmen, Fans und ihre Plays kommen nachher.
Bei Parov Stelar haben die Fans das offenbar getan. Denn Parov Stelar thront mit deutlichem Abstand auf dem Internet-Thron. Auf allen Plattformen. Größenordnung Paul Kalkbrenner, Digitalism und fast schon ein doppeltes Deichkind. Dahinter folgt viel Metal, Drum ’n’ Bass, aber auch vermeintlich schwierige Artists wie Fennesz, Ja, Panik, Soap&Skin und Dorian Concept. Pop kommt erst später. Ganz wertfrei.
Soziale Abtastgeräte
Um mehr über die Beliebtheiten im Netz zu erfahren haben sich mittlerweile Services etabliert, die Daten von mehreren Plattformen zusammenführen. Next Big Sound erstellt etwa für das US-Magazin Billboard auch eine Rangliste der fünfzig beliebtesten Acts in sozialen Netzwerken, die nach Fans, Plays, Kommentaren oder Sichtungen sortiert werden können. Und es lassen sich hier kurzfristige Trends der letzten Tage ablesen. Nicht immer werden da dieselben Netzwerke miteinander verglichen, aber meistens. Die internationalen Top Ten dort sind tatsächlich wenig überraschend. Aber auch einige österreichische Acts werden gelistet; und sie bestätigen den Eindruck: Parov Stelar. Schon wieder. Die Koffeinbrause Pepsi hat ebenfalls eine Black Box ins Netz gestellt, die sich Pepsi Music Index nennt und einfach mal behauptet genau hundert tolle, aufstrebende Artists zu kennen. Hypem listet die zehn meistgebloggten Musiker. Heimische Bands sind nicht darunter.
Auch österreichische Social Media Agenturen versuchen mit einem Service für Social Indexing neue Kunden anzulocken. Die Grenze heißt Österreich. Sling Slang greift etwa ausschließlich die Zahlen von Club-Elektronikern auf Soundcloud ab. Parov Stelar. Parov Stelar. Auch da. Andere Seiten wie jene von Digital Affairs und Super-Fi können wiederum noch nicht nach Musik gefiltert werden. Digital Affairs bietet rohe Zahlen von Facebook und Twitter, dafür fehlen einige wichtige Einträge. Der Algorithmus des Social Media Marketings von Super-Fi – das Mutterunternehmen von The Gap – versucht dagegen auch Interaktionen mit abzubilden und macht diese zur Grundlage ihrer Platzierungen. Auf den hinteren Rängen liefert dieser Algorithmus allerdings nur mehr Indizien für die allwöchentliche Relevanz.
Hip Hop, Metal
Zurück zu den Zahlenspielchen: Nehmen wir die Vamummtn. Sie haben ihr soziales Netz gelernt und nur mit Mixtapes und Youtube-Bits Fans gefischt. Können sie sich deswegen etwas kaufen? Ja, schon. Für ihre Tickets und Merchandise zum Beispiel, die sie über Facebook verlinken. Ihren Gig beim Donauinselfest kündigten sie erst wenige Tage vorher an und ein paar tausend kamen vorbei. Wer wie sie 80.000 Fans hat, hat FM4, Falter und The Gap nicht mehr nötig. Auf Facebook scheint Hip Hop überhaupt sehr beliebt zu sein, wird aber über Last.fm kaum gehört. Skeros „Kabinenparty“ kann zwar jeder mitsingen, geht dort aber unter. Dasselbe bei Nazar. Nur Chakuza macht eine Ausnahme.
Auf Youtube sieht die Sache allerdings ganz anders aus. Moneyboy ist hier der Klickkaiser. Für seinen Clip zu „Dreh den Swag auf“ brauchte er weder ein Label noch einen Release. Und auch die Trackshittaz und die Vamummtn haben so begonnen. Für Hip Hop ist Youtube offenbar das Medium der Wahl. Die Sampling-Kultur, die es mit dem Copyright der Originale nicht so eng nimmt, kann sich auf der Videoplattform austoben, schlimmstenfalls wird der Track vom Netz genommen – falls sich überhaupt jemand beschwert. Die Videos sind schnell gestreut, am Handy sind sie sehr einfach abrufbar.
Die Zahlen aus dem Netz sind natürlich verzerrt. Schlagerfans sind nicht unbedingt dafür bekannt, jeden Hype im Wasserglas über ihre sozialen Zirkel zu verschicken. Oder dafür sich freiwillig den Audioscobbler von Last.fm zu installieren. Pop wird ebenfalls wenig abgescrobbelt. Wenn man hingegen eine fanatische Gefolgschaft haben will, ist Metal die angenehmste Musik dafür. Denn diese Fans bekommen immer noch am liebsten in edlem Hi-Fi ihr Ohrenbluten und kaufen auch brav CDs. Wertkonservativ eben.
Avantgarde, Indie
Konservativ sind auch andere Hörer. Trotz anders lautender Gerüchte dürfte die Wiener Downtempo-Schule immer noch das internationale Image dieses Landes prägen. Die Generation um Parov Stelar, Kruder Dorfmeister, Tosca, Waldeck, Dzihan & Kamien, Sofa Surfers, Rodney Hunter und Uko besetzt mehr als zehn Jahre nach dem Boom mit teilweise ganz deutlichem Abstand immer noch die vordersten Plätze. Nicht ganz so deutlich auf Facebook, doch das Selbst-Promoten im sozialen Netzwerk hatten sie lange nicht nötig; und jetzt erst auf den Zug aufzuspringen, wäre ja auch seltsam.
Die jüngere Club-Elektronik hat dagegen noch wenige, beachtete Musiker hervorgebracht. Nach Dorian Concept, Camo & Krooked, Darius & Finlay kommt trotz internationalem Publikum – das eine viel größere Reichweite bedeuten könnte – lange nichts. Aufmerksamkeit entsteht trotz einiger beachtenswerter Singles erst mit Alben, und selbst die garantieren noch keine prallen Playlists.
Eine echte Überraschung ist die abstrakte Avantgarde von Radian, Fennesz und Pita. Musik, die normalerweise zwischen „unhörbar“ und „unspielbar“ eingeordnet wird, geht im Netz in die Millionen. Von wegen Nische. Diese Musiker verdienen sich auch hierzulande endlich die längst überfällige Aufmerksamkeit. Sie haben die Grundlagen für eine Form von Musik gelegt, die fordert und ihre eigenen Strukturen ausreizt. Sie brachten Rhythmus und Melodie in eine Musik zurück, die damals gar nicht sperrig genug sein konnte. Eine Keimzelle dafür war das Label Mego/ Editions Mego, das auch heute noch essenzielle Pionierarbeit leistet.
Und noch eines: Das Wiener Songwritingwunder ist im Ausland doch noch nicht als Wunder anerkannt worden. Diverse Stars und Hoffnungsträger sind dort zwar vertreten, 100.000 Mal im Netz gehört zu werden – und abseits davon noch ein Vielfaches –, ist mindestens respektabel. Doch die international herzeigbaren Aushängeschilder sind dann doch rar. Immerhin: Soap&Skins „Lovetune For Vacuum“ hält auf Last.fm die Spitzenposition für ein einzelnes Album aus Österreich, Gustav, Ja, Panik und Clara Luzia kommen ebenfalls aus einer beachteten, jüngeren Generation von Songschreibern. Songschreiberinnen könnte man fast schon sagen.
Im Netz ticken die Uhren anders. Nicht unbedingt richtiger. Es gibt dort erstmals konkrete Zahlen für etwas, das man früher nur grob abschätzen konnte. Was daraus folgt sind quantitative Aussagen; ungefähre Beliebtheit quasi. Warum es manche Songs trotzdem nicht verdient haben gehört zu werden, warum der eine Act cooler als ein anderer ist, oder warum eine bestimmte Konsensband trotzdem nur Schrott ist, gehört anders argumentiert und ausgestritten. Denn hey, es ist nur Social Media. Der absolute Herrscher heißt Parov Stelar.
Appendix:
Aufsteiger, Absteiger und Überraschungen
Wer hätte das gedacht. Der Nino aus Wien, Mono & Nikitaman, Reinhard Fendrich und Our Ceasing Voice: wenig, viel, wenig, viel. Oder war das umgekehrt. Die nackten Zahlen von Social Media Music Charts machen einem vor allem bewusst wie selektiv man selbst Musik der unmittelbaren Umgebung wahrnimmt. Fast egal, wie sehr man sich um inhaltliche Breite bemüht. Bei jedem einzelnen Eintrag ließen sich sicher gute Argumente bringen, warum es doch bitte klar ist, dass diese und jener genau dort steht, wo sie und er steht. Wenn man sie im Einzelnen denn nur alle wüsste. Diese Charts führen einem zwangsläufig die eigene Ignoranz vor Augen. L’Âme Immortelle, Summoning und Belphegor kommen etwa wohl zum ersten Mal überhaupt in diesem Heft vor. Bauchklang, Iriepathie und Binder Krieglstein werden links liegen gelassen.
Das ist natürlich auch oft gut so. Musik ist kein Kindergeburtstag und sagt einem auch wie man leben soll und leben will. Den affirmativen Rockpop von Christina Stürmer muss man niemandem empfehlen, der ist vor dreißig Jahren stehen geblieben und macht auch so ein paar Manager und ein einige hunderttausend Hörer glücklich. Außerdem geht es um so viel mehr als nur „den Moment zu leben“. Auch mit dem Wissen um ihre relative Unbekanntheit würde The Gap natürlich weiterhin Covergeschichten zu Wolfram, Ginga, Laokoongruppe, Trouble Over Tokyo und Tanz, Baby! schreiben, selbst wenn diese noch nicht ganz den Status von Falco erreicht haben. Umso erstaunlicher ist es dann aber noch, wenn Musik wie jene von Fennesz, Naked Lunch, Radian, Kreisky oder Soap&Skin tatsächlich auf den iPods und Winamps dieser Welt ankommt.
Und das ist vielleicht auch die wichtigste Lehre, die man aus diesen Listen ziehen kann: Einzigartigkeit zählt. Aber leider offenbar auch den einschlägigen Ländermythen zu entsprechen. Die da wären: unzufrieden sein, morbide sein, verkopft, melancholisch, unfreundlich, schwierig, zynisch, zwider sein, aber auch eine lustvolle Gemütlichkeit, ein bisschen Dekadenz und ein Walzer im Herzen gehören dazu. Jene Musiker, die einfach nur internationalen Trends hinterher laufen, laufen meistens auch hinter dem Publikum her. Im günstigsten Fall aber hat Musik sogar eine fast schon ortlose, ja genau: Schönheit (!) wie die von Christian Fennesz.