Klassenkampf im Endzeitexpress
In Joon-ho Bongs (»The Host«) apokalpytischem Actioner fechten die letzten Überlebenden der Menschheit die Revolution an Bord eines Zuges aus.
»Was willst du dafür?«, fragt der Revoluzzer Curtis (Chris Evans) einen kleinen Jungen, der den entscheidenden Hinweis im Kampf gegen die Unterdrückung in Händen hält. »Im großen, weiten Zug?« fragt der Junge, und Curtis nickt: »Im großen, weiten Zug.« Wir befinden uns in der nahen Zukunft. Eis bedeckt den Planeten und hat die Menschheit beinahe vollständig ausgelöscht. Die große, weite Welt ist auf einen futuristischen Zug zusammengeschrumpft, in dem der mickrige Rest der Überlebenden Jahr für Jahr den Globus umrundet.
An Bord herrscht eine strenge Hierarchie, die sich unter anderem in einer klaren räumlichen Trennung manifestiert. Im vorderen Zugteil residieren die VIP-Gäste und gewöhnlichen Ticket-Besitzer, im hinteren der arme Pöbel, der gratis zusteigen durfte, als die Apokalypse schon im Gange war. Curtis ist einer der heruntergekommenen Gesellen, die in den dreckigen, fensterlosen Güterwagons am Ende des Zuges hausen. Unter der geistigen Führung seines Mentors Gilliam (John Hurt) und der Hilfe eines anonymen Wohltäters aus der ersten Klasse, plant er, das System zu stürzen und die Kontrolle über den Zug zu gewinnen.
So geradlinig wie der Haupthandlungsstrang des Films – Rebellen kämpfen sich vom Ende einer metallischen Röhre zur deren Spitze – vermuten lässt, ist »Snowpiercer« nur auf den ersten Blick. Wie zu erwarten, rücken Protagonisten wie Zuschauer mit jedem Abteil dem Kern der neugeformten, totalitären Ordnung näher. Wie zu erwarten, ist die porträtierte rastlose Endzeit-Zivilisation so unmissverständlich als Metapher der menschlichen Gesellschaft zu lesen, dass man sich unwillkürlich nach anderen Interpretationsmöglichkeiten umsieht.
»Snowpiercer« wäre ein schamlos simpler (wenn auch imposanter) Weltuntergangs-Actioner, würde Regisseur und Drehbuchautor Joon-ho Bong (»The Host«) nicht gekonnt einige Asse aus dem Ärmel schütteln. Dass Curtis‘ geradliniger Weg durch den Zug von seinen stetig wechselnden Prioritäten und Antriebskräften konterkariert wird, ist eines davon. Tilda Swinton als opportune System-Hündin ein anderes. Lediglich den »Matrix«-Touch – die Paarung von Biotechnologie mit religiös aufgeladener Mystik – hätte Bong ein wenig zurückschrauben oder gleich ganz aussparen können.