»Es«: Clown-Horror statt Furcht vor dem Erwachsenwerden

Alle 27 Jahre erwacht »Es«, um Jagd auf die Kinder einer US-Kleinstadt zu machen. Die neue Kino-Version des King-Klassikers ist ein guter Horrorfilm, aber keine treue Verfilmung.

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Stephen King mag selbst die gelungenen Adaptionen seiner Bücher nicht immer. Stanley Kubricks »The Shining« (1980) ist dabei ein Paradebeispiel, ein Meisterwerk des Horrorkinos, das der Schriftsteller selbst als furchtbar abstempelte. Trotzdem sind es gerade die frühen Verfilmungen seiner furchterregenden Visionen, die den bleibendsten Eindruck im kollektiven Gedächtnis hinterlassen haben. Dass sie ein größeres Publikum erreichen konnten als ihre literarischen Vorlagen, erklärt diesen Umstand nur zum Teil. Entscheidend ist vielmehr, dass der Erstkontakt vieler Jugendlicher mit Stephen King, aber auch mit Horror im Allgemeinen über Kinoleinwand und TV-Schirm stattfand, nicht zuletzt durch einige von Kings Monstern, die genial ins Bewegt-Bild übersetzt wurden. Wie »Misery«,… und wie »Es«.

Ängste und Symbole

Pennywise, der tanzende Clown, unvergesslich verkörpert von Rocky-Horror-Legende Tim Curry, ist eine Ikone des Horrorfilms, die die Generation VHS nachhaltig prägte. Paradoxerweise ist der Rest des Fernseh-Zweiteilers »Es« aus dem Jahr 1990 erschreckend schwach und teilweise auch durch Currys fulminanten Auftritt eine lachhaft oberflächliche Umsetzung von Kings Roman. In Letzterem ist der Kinder fressende Clown nämlich weniger überirdischer Monster-Mythos, als Projektionsfläche für das Grauen des Erwachsenwerdens. Im Buch besteht der Plot aus einer Aneinanderreihung von Übergangsritualen, am deutlichsten in Szene gesetzt durch den symbolischen und selten subtilen Einsatz von Blut. Für die Burschen des Losers‘ Club – der siebenköpfigen Hauptfiguren-Clique – ist es der erste Aderlass durch übermächtige Schulrowdys, das »first blood«, das sie der Behutsamkeit ihres Elternhauses entreißt und in die Welt der Eigenverantwortung und Selbstbestimmung stößt. Für die weibliche Hauptfigur Beverly ist es die erste Monatsblutung, die das biologische Ende ihrer Kindheit bedeutet und sie zur Beute triebhafter Raubtiere zu machen droht.

Und dann ist da noch die Angst, in all ihren konkreten und abstrakten Facetten. Vor der Dunkelheit, vor dem Fremden, vor Ausgrenzung, Identitätsschwund, Unzulänglichkeit, vor dem Monster unterm Bett, vor der erwachenden Sexualität (man denke an »ES tun« als kindlich entschärfte Phrase für den Geschlechtsverkehr), vor Machtverlust und Machtgewinn, vor den Abgründen der eigenen Psyche. »Es« handelt all diese Ängste Kapitel für Kapitel ab und vermengt sie zur Furcht vor dem übermächtig scheinenden Pennywise.

Muschiettis »Es«

Stephen Kings großzügig aufgetragene Symbolik und seine minutiöse Aufarbeitung des Angst-Spektrums ist in der Neufassung von »Es« nur in groben Ansätzen zu spüren. Im Gegensatz zur Straffung des Plots, die leider eine Notwendigkeit bei der Filmwerdung eines über 1.100 Seiten starken Romans ist, sind diese Einsparungen ein klares Manko der aktuellen Adaption. Das Kreativteam rund um Regisseur Andy Muschietti hat trotzdem vieles richtig gemacht. Statt wie zahlreiche Horrorfilme der Gegenwart zur Jump-Scare-Orgie zu mutieren , ist in »Es« genug Platz für langsam aufkeimende Gänsehaut und echte Spannungsmomente. Bill Skarsgårds Pennywise ist monströser, entmenschlichter als Currys Version, dabei zwar nicht so kultverdächtig wie das TV-Original, aber ein würdiger Nachfolger. Der größte Pluspunkt der Neufassung ist der junge Cast von »Es«. Der Losers‘ Club ist nahezu perfekt besetzt, Finn Wolfhard ist wahrhaftig »Trashmouth« Richie Tozier, Jack Dylan Grazer ein grandioser Eddie Kaspbrak, Sophia Lillis eine umwerfende Beverly Marsh. Ausgerechnet Hauptdarsteller Jaeden Lieberher kann als Anführer Bill Denbrough nicht ganz mit seinen Co-Stars mithalten. Die Kids kommen den Figuren des Romans dennoch unglaublich nahe.

Womit wir wieder bei Stephen King wären. Ihm gefällt die Neufassung von »Es«. Besonders eine Szene, die so nicht im Buch zu finden ist (man achte auf die Frau mit der Flöte), sondern von Andy Muschietti als Andenken an seine eigenen Kindheitsängste in die Geschichte (und an seinen Film »Mama«) gepackt wurde. Letztendlich ist »Es« dann vor allem eines: Ein guter Horrofilm (und schon jetzt der finanziell erfolgreichste aller Zeiten), aber eben keine treue, sondern stark von ihren Machern gefärbte Verfilmung.

„Es“ startet am 29. Oktober 2017 in österreichischen Kinos. 

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