Musikgeschichten in Color
Peter Guralnicks Klassiker aus dem Jahr 1986 über den rohen Soul der US-Südstaaten erscheint nun erstmals auf Deutsch.
Was Armut und die Rassentrennung im Süden der USA anrichteten, lässt sich von einer Parkbank in Österreich aus nur sehr schwer vorstellen. Immerhin bemüht man sich heutzutage, verschiedene Migrationshintergründe als eine Bereicherung für eine Gesellschaft zu sehen. In den frühen 60ern hingegen, also ungefähr, als dein Vater anfing mit Autos zu spielen, durften Schwarze gefälligst nicht dieselben Schulen, dieselben Sitzbänke, dieselben Scheißhäuser, teils nicht dieselben Wasserhähne wie Weiße benutzen. Die schwarze Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King und Malcolm X kämpfte dagegen an. Und in diesem Klima verkaufte vor allem ein Label wie Motown massenhaft schwarze Musik an weiße Teenager. Aber um die Entertainment-Maschine Motown geht es in diesem Buch nicht. Sondern um den schrofferen, ja ungezügelten Rhythm‘n’Blues der Südstaaten mit seinem intensiven Call & Response-Ritualen, seinen gutturalen Stöhnern, Ächzern, Schreien und dem fleischigen Nachhall der schwarzen Kirchen.
Peter Guralnick hat in unzähligen Interviews und Kleinarbeit versucht, ein lebendiges Bild dieser Zeit zu zeichnen. Und genau das gelingt ihm, ohne den Hafen akademischer Begrifflichkeiten ansteuern zu müssen. Man bekommt zwischenmenschliche Perspektiven genauso, wie den Blick, seinen Blick, auf die allgemeinen Veränderungen der Zeit. Manches davon will erst gar nicht zu abstrakten Aussagen gelangen, dafür scheint Guralnick die teils widersprechenden Wahrnehmungen der Beteiligten zu ernst zu nehmen. Er nimmt Stars wie Otis Redding, Sam Cooke, Solomon Burke und Aretha Franklin in die Nahaufnahme, begleitet sie. Ebenso die Vorgänge beim Stax Label aus Memphis, aber auch vermeintliche Nebenschauplätze wie Macon und Muscle Shoals. Immer wieder tauchen in dieser Geschichte unvermutet weiße Musiker auf, die hier im kleinen Maßstab die Desegregation der großen Welt vorwegnahmen. Doch vorwiegend lebt „Sweet Soul Music“ von den detailreichen Biografien und dem Gefühl, in einer einzigen historischen Erzählung nicht viel näher daran kommen zu können, wie Protagonisten und Kolporteure ihre Zeit wahrnahmen.