Spal tung
Twin Shadow macht mitten aus der schützenden Deckung der 80er heraus fragmentierten Pop – seine Bruchstücke hat er von Atlantis bis nach Gotham City ausgestreut.
Mit etwas Mühe könnte man sicher eine schlaue Metapher zum Künstlernamen finden. Zwillinge, Schatten, Januskopf, gebrochene Identität und so weiter. Ein Versuch: Twin Shadow hat zwei Gesichter; oder auch ein gespaltenes Gesicht. Twin Shadow ist nicht offensichtlich schizophren. Eher bipolar. Ein Zustand, der schwer kohärent zu beschreiben ist. Stechende Synths treffen sich mit karibischen Percussions, galoppierende Rhythmen auf introvertierte Streicher, flauschige Flächen offenbaren dunkle Spalten. Bei Twin Shadow verbinden sich Kälte und Wärme, das Debüt »Forget« ist hoffnungslos und voller Hoffnung – gleichzeitig und nebeneinander. Mal singt George Lewis Jr. halb betäubt von vergebenen Chancen und Demütigungen, dann wieder voll mit Tatendrang. Das Album trägt eine wattierte Euphorie auf gar nichts. Und durch diese sehr seltsame, innere Spannung – die angestopft ist mit großen Melodien, mit Singalongs, mit zieseligen Gespinsten für die Ohrenspirale – lebt das Album, atmet, bebt.
Bleiben wir einen Moment auf sicherem Boden: George Lewis Jr. ist Twin Shadow. In der Dominikanischen Republik geboren, wuchs er in Florida auf, zog 2006 nach Brooklyn, machte mal Punk-Gospel-Was-Auch-Immer und – wohl weil er sich einen Schnauzer im Gesicht züchtete – eröffnet er nun mit seinem Debüt »Forget« das brandneue Label des Grizzly Bears Chris Taylor. Hier laufen verschiedenste Fäden aus den 80ern zusammen, vor allem New Wave, Morrissey und Talking Heads. Ja, klingt unglaublich langweilig, immerhin gab es ja in den letzten zehn Jahren fast nichts anderes. Dann aber lässt Twin Shadow ein derart zweischneidiges Debüt los. Die beiden vielleicht besten Songs »At My Heels« und »Castles In The Snow« sind sich ähnlich; aber einmal klar, schnell und hymnisch; einmal harsch, beißend und klaustrophobisch. Und beide Male umwerfend. Chris Taylor hat mit seiner Produktion dafür gesorgt, dass sich das Album trotzdem nicht wie das Werk eines Nerd-Eremiten, sondern nach echter Band anfühlt. Die Hitzezentralen der Gegenwart hatten mal wieder Recht. Die Songs von Twin Shadow haben tatsächlich Enterhaken und nisten sich fest im inneren Melodie-Arbeitsspeicher ein.