Venushaar

Erstaufnahmelager Kreuzlingen in der Schweiz: Hier sitzen tagtäglich Asylwerber, die Eintritt ins Paradies begehren, dem Schicksalslenker Petrus alias Peter Fischer und dessen Dolmetscher gegenüber.

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Die Frage nach Asylgründen übersetzt er ins Russische, die Antworten entscheiden über Bleiben oder Abschiebung, auch wenn Dokumente oft fehlen. Ob diese Leidensgeschichten eine reale oder fingierte Basis haben, klärt nicht der Dolmetscher, der ihnen bald Erinnerungen an die Zeiten vor und nach seiner eigenen Emigration beimengt. Doch damit belässt es der 1995 aus Russland in die Schweiz emigrierte Booker-Preisträger, der ebenda für eine solche Einwanderungsbehörde übersetzte, nicht: Mythen und Parabeln, Erzählungen aus der Antike, das Tagebuch einer russischen Schauspielerin, Allegorien sowie geheimnisvolle Briefe an seinen getrennt bei der Mutter lebenden Sohn türmt Schischkin auf zu einer Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Dieser waghalsig komponierte wie ausladende, vielfach preisgekrönte Roman bietet nichts weniger dar als die gesamte Bandbreite menschlicher Gefühle – von Freud bis Leid, Liebe und Hass, Gier und Sanftmut, Not bis Freiheit – und Leistungen. Eingebettet in den Widerstreit des Individuums mit repressiven Regimes und pseudodemokratischen Reglementarien wie etwa Asylbehörden hat Schischkin hiermit einen erzähldramaturgisch grandiosen, stilistisch dicht arrangierten Brillanten in die Literaturgeschichte gesetzt.

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