Wie kommt das Salz ins Meer

„Gutbürgerlich“ – das erste Wort in Brigitte Schwaigers autobiografisch gefärbten Roman benennt gleichsam den innerfamiliären Imperativ, dem die namenlose Ich-Erzählerin um jeden Preis zu gehorchen hat. Geboren in der oberösterreichischen Provinz, wird ihr von Kindesbeinen an klargemacht, dass persönliche Freiheit und Selbstverwirklichung wenig zählen. Vielmehr gilt es, sein Leben den biederen Vorstellungen, die das ländliche […]

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„Gutbürgerlich“ – das erste Wort in Brigitte Schwaigers autobiografisch gefärbten Roman benennt gleichsam den innerfamiliären Imperativ, dem die namenlose Ich-Erzählerin um jeden Preis zu gehorchen hat. Geboren in der oberösterreichischen Provinz, wird ihr von Kindesbeinen an klargemacht, dass persönliche Freiheit und Selbstverwirklichung wenig zählen. Vielmehr gilt es, sein Leben den biederen Vorstellungen, die das ländliche Bürgertum von Erfolg und Anstand hat, anzupassen, um den guten Ruf der Familie zu wahren. „Gutbürgerlich, das ist das Wichtigste“, lehrt schon die Großmutter. Die auf Anraten der Eltern geschlossene Ehe mit Rolf verläuft lieblos und schnürt die junge Frau in ein noch engeres Rollenkorsett: „Ich bin nicht ich. Ich bin Rolfs Frau“. Einsamkeit und die ständigen Maßregelungen ihres Mannes treiben die Hauptfigur zusehends in die Verzweiflung. Tablettenabhängigkeit und Gefühlswallungen zwischen Liebeshunger und Todessehnsucht sind die Folge. Auch um das Seelenheil der Autorin dieses sprachlich virtuos gestrickten Werkes stand es lange Zeit alles andere als gut. Als „Wie kommt das Salz ins Meer“ 1977 erstmals herauskam, wurde das Buch zu einem der meistverkauften deutschsprachigen Titel des Jahres und die damals 28jährige Brigitte Schwaiger zum literarischen Wunderkind apostrophiert. Doch der damit verbundene Erwartungsdruck stürzte die ohnehin fragile Autorin in eine Krise. Es folgten erfolglose Bücher, finanzieller Ruin, Depressionen und schließlich die freiwillige Einweisung in die Psychiatrie Steinhof. Die Öffentlichkeit hatte Schwaiger längst vergessen, bis sie sich 2006 mit dem vielbeachteten Buch „Fallen lassen“ /(Czernin)/, einer eindrucksvollen Verarbeitung ihrer Klinikaufenthalte, zurückmeldete und der Verlag sich in Folge entschied, auch Schwaigers Debüt neu aufzulegen. Eine gute Entscheidung, denn als unpathetisches Plädoyer gegen standardisierte Lebensentwürfe und das Festhalten an heuchlerischen Moralvorstellungen ist dieses Buch nach wie aktuell und wichtig.

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