Mego hält die Avantgarde in Schuss. Das Label setzt von Wien aus seit Jahren Maßstäbe wie sonst nur noch Warp.
Gerade hat Peter Rehberg eine Testpressung bekommen, eine Fennesz Single. Peter Rehberg wird heuer noch unzählige Testpressungen bekommen. Ungefähr zwanzig Releases stehen an. Eigentlich ist das viel zu viel. Aber die Welt der avancierten Elektronik tickert, zurrt, dröhnt und pulsiert anders. Die Leute kommen wegen der Musik, nicht wegen all dem Drumherum. Und Mego ist ein etablierter Name. Wenn über Twitter etwas Neues angekündigt wird, kaufen viele blind. Vielleicht ist Peter Rehberg deshalb so zuversichtlich, auch wenn er noch nie so viele Alben auf einmal geplant hat.
Dabei stemmt Peter Rehberg das Label ganz alleine. Vom Entdecken neuer Musik bis zum Postversand. Von Wien aus versorgt er die Welt mit intelligenten Geräuschen. Renommierte Medien wie The Wire, Pitchfork und Fact Mag besprechen neue Alben, wählen sie in ihre Jahreslisten und machen Interviews. De:Bug sieht dieser Tage für einen längeren Artikel vorbei. Das sind nur die bekanntesten Verehrer des Labels, zahlreiche Blogs und einige Feuilletons kommen dazu. Für so viel Scheinwerferlicht würden andere mindestens eine Niere spenden. Daheim rund um Wien sieht es deutlich finsterer aus. Donaufestival, Popfest und FM4 ignorieren das Label gerade einmal. Stattdessen heuer: Salzburger Festspiele. All die positive Presse führt allerdings noch nicht automatisch zu goldigen Verkaufszahlen. Pro Album werden etwa 500 bis 1000 Stück Vinyl gepresst, selten auch ein paar hundert CDs. Für Pop-Eurodance-RnB-Dubstep wäre das nichts. Für die Musik auf Mego, die auch einmal aus einem einzigen Schrei bestehen kann, der vier Mal 15 Minuten lang zu einem kalten Surren gestreckt wurde, ist das ziemlich erstaunlich. Und in Summe wieder spitze.
Back in Time
Das war zwischendurch nicht immer so. Mego war nach der Gründung 1994 ziemlich schnell ziemlich erfolgreich. Das Label kam aus der Techno-Szene, ohne dogmatisch zu sein. Anfangs hatte dort die allererste Scheibe von DJ DSL genauso Platz wie der rohe Elektro von Gerhard Potuznik und die brachialen Performances von Fuckhead. Trotzdem wurde Mego gleich in zwei Genres geschmissen, die sich zwar albern anhörten, aber bis heute nachhallen: Clicks & Cuts und Wiener Downtempo. Eines davon machte eigentlich nur insofern Sinn, weil man sich in etwa dieselben Lokale, dieselbe Stadt teilte und die Musik auch irgendwie kein Rock war. Das andere war nach Peter Rehbergs Einschätzung eine blöde Erfindung von PR-Leuten, Plattenläden und Medien. Es hat beides nicht geschadet.
Und so bestand Mego Ende der Neunziger aus vier Leuten, mit eigenem Büro, einem der ersten Webshops für elektronische Musik und dem Mut von unabhängigen Klangverbesserern … solange, bis nach fast einem Jahrzehnt das Interesse schwand und damit die Verkäufe. Zwei der Gründer entschlossen sich umzusteigen, Peter Rehberg machte alleine weiter. Heute presst er oft weniger als früher, verkauft aber mehr. Er weiß was möglich ist. Das Büro ist ein Raum in Peter Rehbergs privater Wohnung, manche alten Label-Arbeiten wurden einfach ausgelagert. Deswegen heißt Mego seit sieben Jahren auch Editions Mego, um diesen Einschnitt zu markieren. Von den paar gleichgesinnten Labels von damals ist heute eigentlich nur noch Warp ähnlich aktiv.
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
So nebenbei hat sich über die vielen Jahre einiges angesammelt, manche Alben gelten als Klassiker, sind also das, was andere Labels ihre Pensionsversicherung nennen. „Endless Summer“ von Fennesz gehört sicher dazu, allerspätestens seit Resident Advisor, Pitchfork und, tja, auch The Gap es zu einem der besten Alben der Nuller Jahre kürten. „Sheer Hellish Miasma“ von Kevin Drumm war für viele wie eine Einstiegsdroge in die Welt von Noise, Drones und den vielen Kammern dazwischen. Auch für John Elliot von den Emeralds. Ihr Album „Does It Look Like I’m Here“ wäre ohnehin riesig geworden, auch wenn es anderswo rausgekommen wäre, ist sich Peter Rehberg sicher. Es steuerte schlafwandlerisch an Nostalgie und New Age vorbei und abstrahierte die Sounds von billigen Synths, auf eine ähnliche Art, wie das andere vor ihnen mit Gitarren oder Laptops getan hatten. Und weil daran noch dazu eine ganze Szene hing, die aus Leuten bestand, die cirka 20 Jahre jünger als Rehberg selbst waren, bekam John Elliott von den Emeralds noch ein Sublabel dazu, damit viele dieser Kleinode auf die Welt gelassen werden konnten. Der Name Spectrum Spools war relativ schnell gefunden. Peter Rehbergs Rolle ist dabei eher die eines Geldgebers, Artwork und Musik kommen fixfertig bei ihm an.
Das läuft so gut, dass eine Zeit lang immer neue Sublabels dazukamen. Auf Recollection GRM veröffentlicht er die Pioniere der elektronischen Musik neu auf Vinyl. Manche Stücke gehen zurück bis ins Jahr 1961. Die Musik ist schon da, es brauchte nur noch das Know-How und den richtigen Namen. Editions Mego hat beides. Das neue Dance-Sublabel Sensate Focus liefert jeden Release mit Bleistift aus, die Katalognummern werden immer kleiner, ein Künstlername steht nicht drauf. Von diesem Punkt weg sind wieder neue Verbindungen möglich, die man einem älteren Ein-Mann-Label nicht zutrauen muss, hin zu House, zu Dubstep, UK Bass, auch zu Trance.
Irgendetwas scheint vor cirka drei Jahren passiert zu sein. Seither wurde das Pensum von Mego immer größer, die Palette immer breiter. Fragt man Peter Rehberg, so war viel davon klassische Aufbauarbeit, ein Ding ermöglicht das nächste, Risiko lässt sich besser verteilen. Ein Konzept gibt es für das explosive Wachstum nicht. Und das scheint das Label auch auszumachen – neben sehr, sehr viel Arbeit und Hartnäckigkeit. Mego passt sich an, es verändert sich, transformiert sich, probiert aus und adaptiert Ideen. Früher waren digitale Klangwelten interessant, heute wird fast nur noch auf Vinyl gepresst. Komplexe Theoriegebäude können Teil einer Arbeit sein, müssen nicht. Eine strenge Linie für die Artworks gibt es auch nicht. Und immer wieder veröffentlicht es Alben, die scheinbar nicht zum Sound des Labels passen.
No Hipster Bullshit
James Ferraro hätte so jemand sein können. Ihn hat Rehberg abgelehnt, weil er trotz Vorschuss nicht rechtzeitig lieferte. Und weil er überhaupt nichts anfangen kann mit dieser zynischen Art, Scheiße gut zu finden. „Pepsi- Werbungen waren aber in den Achtzigern Müll und sind es jetzt noch immer. Genauso Hall And Oates. Warum sollte das heute anders sein?“ Das sei so ein Ding von Hipstern in Brooklyn. Rehbergs Meinung dazu ist – wie so oft – eindeutig. Und deshalb bereut er die Entscheidung auch nicht, auch wenn die Unterschiede fein sind. Ein paar der Mego-Acts beziehen sich ja auf ältere Musik, aber dann wenigstens auf gute. Und wenn sie Kapitalismusabfall zitieren, dann machen sie daraus wenigstens gute Songs. James Ferraro war keins davon, so Rehberg. Und Oneohtrix Point Never, nun, das bessere Album ist ja ohnehin bei Mego erschienen. Andere gehen auf dem Label an die Anfänge und die Abgründe von Dance Musik zurück und holen sie in die Gegenwart. Ja, Mego ist anpassungsfähig. Es hat keinen größeren Plan, aber sehr viel Ahnung von dem, was es tut. Nur beim Thema Frauen sucht Rehberg selbst nach Antworten. Er kennt viele, fragt viele an, viele sagen nein. Er fände es gut, aber was kann er ganz alleine machen. Ein Sublabel nur für Frauen wäre seltsam. Und natürlich kann man kein einzelnes Label dafür verantwortlich machen, dass zu wenige Frauen in die Zirkel elektronischer Musik wagen.
Das kommende Jahr wird für Mego ähnlich dicht wie dieser Herbst. Nicht nur wegen der Alben von Fennesz und Emeralds. Das Label, sagt Peter Rehberg, könnte er von überall aus betreiben, wo es ein Postamt, einen Flughafen und Internet gibt. Die Gründe, es eben in Wien zu machen, haben mit der lokalen Musikszene reichlich wenig zu tun. Wenn allerdings ein paar Leute begreifen würden, was für ein Schwergewicht elektronischer Musik von hier aus feinste Geräuschmusik um den Globus wirft, könnte sich das sogar recht bald ändern.