»Votive« wird dafür sorgen, dass sich Menschen wieder vor der Entscheidung finden, vielleicht doch wieder in die Kirche einzutreten. Bloß in welche?
Spätestens seit der Kobosil-Remix von Rosa Anschütz’ 08 Track »Rigid« im vergangenen Jahr über sämtliche Techno-Dancefloors fegte, sollte der Name der in Berlin geborenen Künstlerin, die mittlerweile Wien zu ihrer zweiten Heimat gemacht hat, all jenen ein Begriff sein, die etwas von avantgardistischer beziehungsweise experimenteller Musik halten. Auf ihrem Debütalbum, das über die letzten drei Jahre in Zusammenarbeit mit dem Berliner Produzenten Jan Wagner entstanden ist, schafft die transmediale Künstlerin ein zeremonielles Ambiente, das ihre teils stark mit Effekten beladene und zwischen gesprochenem Wort und Gesang wechselnde Stimme in wärmende Gitarren-, Bass- und Synthesizersounds hüllt.
Eine schnelle Wikipedia-Recherche ergibt, dass ein Votiv eine Opfergabe bezeichnet, die von einem Gelübde begleitet an eine höhere Macht dargebracht wird – um vor Notlagen geschützt zu sein. Und das ist nicht nur stabiles Funfact-Wissen für den nächsten Spaziergang, der an der Wiener Votivkirche vorbeiführt, sondern beschreibt auch die düster-melancholische Stimmung des Albums, bei der aber doch eine tiefe Ruhe, wenn nicht sogar Hoffnung mitschwingt. Ein bisschen fühlt es sich so an, als säße man inmitten eines Gottesdienstes, der wegen seines hypnotisierenden Charakters ein spätes Ende verlangen lässt.
Auf der lyrischen Seite ist das Album trotz Minimalismus nicht weniger tiefgehend. Die mantraartig wiederholten Textpassagen eröffnen auch ohne komplexe und doppeldeutige Botschaften Interpretationsspielraum, indem sie die Basis für gesprochenes Wort schaffen. Die poetischen Zwischenkundgebungen sind angeblich aus einer Sammlung von gelegentlich notierten Textfetzen entstanden und hatten so wohl genügend Zeit, gemütlich vor sich hin zu reifen. Im Mantel des hallenden Hintergrunds verschmelzen sie zu einem dem Ohr schmeichelnden Erlebnis. »Votive« ist eine der Platten, die uns durch die Winterdepression helfen werden.
»Votive« von Rosa Anschütz erscheint am 1. November bei Quiet Love.