Rosenblätter und Dornen

Erika M. Anderson entwirft aus Folk, Noise, dem sägenden Singen ihrer Gitarre und symbolträchtiger Sprache große Schmerzenspoesie. Passenderweise nennt sich das Debütalbum ihres Projekts EMA »Past Life Martyred Saints«. Es ist eine Platte des Jahres geworden.

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Das Stück »California« ist das aktuell meistbesprochene Stück auf »Past Life Martyred Saints«; es ist jenes Stück, mit dem EMA seit Wochen quer durch die Blogs unterschiedlichster Ausrichtung leuchtet – zu Recht, es ist eines der besten Stücke des Jahres bislang. Auf ihrem Debütalbum ist »California« an zweiter Stelle platziert, es repräsentiertund bündelt das Schaffen der Künstlerpersönlichkeit EMA in magischer Dichte, ist Kernstück, Konfession und Calling Card. Über einem zitternden und in den Gelenken lange schon rostig gewordenen Dröhnen aus der Gitarre, das sich weniger weiterentwickelt, sondern vielmehr kurzvor der Implosion stillzustehen scheint, über infernalisch quietschenden Streichern und einem in weiter Ferne alle zwei Ewigkeiten einsetzenden dumpfen Wummern als Taktgeber der Agonie erzählt, singt und predigt EMA ein Leben aus Ambiguitäten und Gegensätzen.

Der goldene Bundesstaat ist hier nur Platzhalter für verblühte und verrottete Lieben, für die Hoffnungen, mit denen die Menschen immer wieder aufbrechen, für die mit dem Wind verblasenen Wünsche – schließlich klarerweise für die sich immer aus Widersprüchen, die unter keinen Hut zu zwängen sind, speisende good ol’ Menschenexistenz. Dem schon abgenutzten, öden, schauspielermäßigen Gestus, Kalifornien als einziges großes, dekadentes und kunstfeindliches Hollywood, als Betty-Ford-Klinik und grell ausgeleuchtete Porno-Manufaktur anzuschwärzen, verfällt EMA im Song nicht. »Ich singe ja nie, dass Kalifornien bloß ›fake‹ oder Plastik oder so etwas ist«, sagt sie, »auf der anderen Seite bin ich aber auch gelangweilt von den sogenannten ›positiven‹ Klischees von Kalifornien, dem Hippie-Ding, dem Groovy-Sein, dem Mythos von der freien Liebe.«

Hinter dem Klangmorast

EMA ist das Soloprojekt der Sängerin und im Selbstversuch fernab von Notenblättern gewachsenen Multiinstrumentalistin Erika M. Anderson, die ihren Sound, ihre Stimme, den Umgang mit ihrem Primärwerkzeug, der Gitarre, und anderen Klangkörpern, ihren singulären Style, der womöglich – sollte die Welt dann doch eine einigermaßen okaye sein – noch auf Jahre jungen Leuten eine Blaupause sein wird, in der Vergangenheit in zwei kalifornischen Bands geformt hat. Bands, die in überschaubaren Kreisen zwar hochangesehen, anderswo bloß unter dem Schlagwort »Underground« verbucht waren.

Im Alter von 18 ist die heute 29-Jährige aus dem ruralen South Dakota nach Los Angeles gezogen und hat dort zwischen Tür, Angel und den Sofas anderer gelebt. Lange Zeit hat sie im nahe San Francisco gelegenen Oakland verbracht – jener Stadt, die neben der höchsten Pro-Kopf-Dichte an Künstlerinnen und Künstlern aller US-amerikanischen Städte auch eine exorbitante Kriminalitäts- und Mordrate aufweisen kann – und in den Gruppen Amps For Christ und vor allem Gowns in experimentelleren Gewässern von Noise, Drone und nervenaufreibender Psychedelik geforscht – dabei jedoch stets das Wissen um Folksong und Pop hinter dem Klangmorast durchschimmern lassen.

»Past Life Martyred Saints« konzentriert jetzt die Highs und Lows, den Terror und die Wonne eines jeden Daseins in einer tatsächlich durch und durch bemerkenswerten Klangästhetik, die den musikalischen Plankengang zwischen Euphorie und Komplett-Depression mit einer bildreichen Sprache koppelt, die von »Joseph« und »Mary« kündet, aber auch von »Christmas« und eben den titelspendenden »saints« – und insgesamt ein bibelnahes Zeichenregister bemüht: »Ich bin ziemlich religiös aufgewachsen, habe das alles aber – wie es vermutlich üblich ist – relativ schnell abgelehnt; die Art, wie die Kirche funktioniert: die Heuchelei, die Misogynie, die Vorurteile etc. Andererseits ist für mich Religion, oder vielmehr die Sprache der Religion, ein sehr starkes System von Symbolen, die man gut verwenden kann, um diffuse Gefühle zu beschreiben. Oft ist es für mich anscheinend der einzige Weg, um gewisse Stimmungen in Worte zu fassen, diese Zeichen, diese Art von Sprache, zu benutzen, mit derich aufgewachsen bin.«

Der Song »California« – »a song based on heart-break and metaphor«– aber auch der Rest des Albums ist ein Fundus an zitatwürdigenKalendersprüchen für eine Welt mit besseren Kalendern: »I bled all my blood out / But these red pants don’t show that / My friends don’t even know that / And when I sold them I sold that.« Und: »Wasted away alone on the plains / What’s it like to be small town and gay?« Und: »I wish that everytime he touched me left a mark.« »Past Life Martyred Saints« ist ein Album, das von »love in the form of tragedy« handelt, von »love so much, so real, so fucked it’s 5150«, wobei »5150« für ein Polizeikürzel und einen Slang-Ausdruck steht, der einen Tatbestand beschreiben will, der »crazy« und »violent« ist.

Abenteuerlicher Dilettantismus

Die Musik auf »Past Life Martyred Saints« ist finster und minimalistisch, gerne sägt die Gitarre und wird ein Widerstreit zwischen fragilem Gezupfe und Krach bemüht, der EMA immer wieder den Vergleich mit guten Menschen wie Sonic Youth, Cat Power oder Patti Smith einbringt. Aber auch Grunge und Goth sind Eckpfeiler in ihrem Koordiantensystem. Aus EMAs Musik sprechen Rauheit und abenteuerlicher Dilettantismus: »Ich sehe mich nicht unbedingt als Musikerin im eigentlichen Sinne, höchstens als eine Art Musikerin, ich habe nie klassischen Unterricht gehabt, ich sehe mich eher als eine Person mit einem Haufen Ideen, die hart arbeitet. Ich bin wirklich nicht besonders großartig an der Gitarre, ich glaube, ich spiele einfach auf eine sehr physische, coole, an die Eingeweide gehende Art. Ich möchte bloß kick-ass music machen.«

EMA ist nämlich keineswegs die einzigin Selbstmitleid zerlaufende Leidensfrau. Wenn zuviel Trübsal aus den Zeilen tropft, darf da und dort ein humoristischer doppelter Boden eingezogen werden. »Ich fühle mich da ein bisschen wie ein Stand-up-Comedian, und mag es, wenn nicht ganz klar ist, was an den Texten ernst gemeint ist, was tongue-in-cheek, überhöht oder vielleicht nur albern ist.« Und im Vorbeigehen erkennt sie dann doch die Wahrheiten: »These drugs, they are making me so sad / And I can’t stop taking them«. »Drugs«, das kann vieles sein, und wenn dann EMAs Gitarre allzu spröde jammert, schwillt wohlig ein Orgelthema an und alles wird wieder gut.

Dieser Artikel ist bereits in unserem Schwestermagazin TBA erschienen.

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