Ruf der Wildnis

Wie selbstverständlich sehnt sich neuerdings sogar mancher Öko nach einer Diktatur. Die Demokratie wird immer häufiger und offener in Frage gestellt. Wie schützt man sich vor Verdrossenheit und dem Ruf nach autoritären Anpackern?

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Welche Gesellschaftsform kann den Klimawandel besser bewältigen: Demokratie oder eine autoritäre Regierung, die notfalls über die Köpfe der Bürger hinweg entscheiden kann?« – Sind Sie sich sicher? – Sind Sie sich wirklich ganz sicher? – Wollen Sie vielleicht das Publikum befragen? – Keine Millionenfrage, aber doch eine, die eine Millionenleserschaft erreicht. Mit ihr konfrontiert das deutsche Naturkostmagazin Schrot & Korn in seiner Aprilausgabe den deutschen Sozialpsychologen und Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen, Harald Welzer. Der deutsche Professor differenziert in seiner Antwort: »Theoretisch ist die Demokratie im Vorteil, praktisch hat eine moderne Diktatur wie China in der Wirtschaftskrise nicht in Abwrackprämie und Wachstumsbeschleunigungsgesetz, sondern mehr in regenerative Energien investiert.” Theoretisch lebe er selbstverständlich lieber in einer Demokratie, schätze er deren Freiheiten. Praktisch habe »China eine erstaunliche Geschmeidigkeit darin bewiesen, die Unzufriedenheit der Bevölkerung immer wieder aufzufangen und das System punktuell zu reformieren.« Auch wenn sich Welzer letztlich doch auf die Seite der Demokratie schlägt – eine klassische autoritäre Argumentationslinie: Die Idee ist gut, doch die Welt halt nicht bereit. Und bevor alles zerdiskutiert und blockiert wird, bleiben wir aus pragmatischen Gründen besser beim Machbaren. Lassen wir einen, der zu machen bereit ist, anpacken.

Vom Freibrief fürs Anpacken bis zum bewussten Über-­Leichen-Gehen sind es auch in modernen Diktaturen nur ein paar Schritte. Beispiele dafür gibt es in Geschichte wie Gegenwart zur genüge. Dieses Wissen wird in dem deutschen Naturkostmagazin, das sich mit seiner Auflage von 650.000 Stück nicht nur an Fundis richtet und auch hierzulande in jedem besseren Bioladen herumliegt, schweigend vorausgesetzt. Oder als zivilisatorischer Kollateralschaden in Kauf genommen. Die Fragestellung ist in radikalen Ökokreisen keine ganz neue – aber auch darüber hinaus kein Einzelfall. »Demokratie ist out. Nur wenige trauen ihr zu, die großen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme unserer Zeit zu lösen«, steht in einem Flyer der Veranstaltungsreihe »Tangenten. Nachdenken über Fragen der Zeit«, die sich dieses Frühjahr in Feldkirch fragt: »Ist die Demokratie zukunftsfähig?«. Die Antwort des Tübinger Philosophieprofessors Otfried Höffe, der sie zu geben nach Vorarlberg kommt, dürfte zwar ein eher eindeutiges Ja sein. Dennoch darf allein der Umstand, dass es sich beim Veranstaltungsort um kein obskures Fundi-Nest, sondern um das renommierte Theater am Saumarkt handelt (in dem sonst die Big Names des Kabarett gastieren, Lyrik und Gegenwartsliteratur zelebriert werden und Kunsthistoriker für Kinder Licht ins »dunkle Mittelalter« zu bringen trachten), als Beweis für die brennende Brisanz des Themas gelten. Bezeichnend auch, dass keine »Krise der Demokratie« erörtert werden soll, sondern die Volksherrschaft gleich ganz in Frage gestellt wird. Und dass das weder jemanden aufregt, noch die Massen mobilisiert. Demokratie lässt alle kalt. Alle beschwören sie in ihren verlogenen Sonntagsreden oder nutzen sie zur Eigen-PR (der deutsche Ex-Kanzler Schröder lobte einst Russlands Premier Putin als »lupenreinen Demokraten« – und darf dafür heute mit dessen Billigung als Aufsichtsratvorsitzender deutsch-russische Erdölgeschäfte anzapfen). Wirklich praktizieren möchte sie anscheinend kaum mehr einer. Auch die politische Klasse hat sich bestens mit der verdrossenen Mehrheit arrangiert, von der sie ihre Legitimation einzig durch Verführung einfährt – und der als unmündig erachteten Bevölkerung vorformulierte Fragen in den Mund legt, die sie bei Volksbefragungen zu schlucken hat. Eine politische Führung, die für Haltungen einsteht, daraus mit klarem Mandat akute Problemlösungen ableiten kann und sich dafür im Fall des Falles auch abwählen lassen muss, scheint längst nicht mehr anstrebenswert. Ein Teufelskreis, der zu einer populistischen Abwärtsspirale gerät, die wiederum dort zu enden droht, wo sich der charismatische Verführer als Führer tarnt und als »charismatische Herrschaft” (Max Weber) installieren lässt. Durchaus auch mit den Mitteln der Demokratie. Und schon wären wir wieder bei Wladimir Putin. Beziehungsweise der Notwendigkeit dringlichen Handelns. Die rundum verfahrene Situation bräuchte keine einfachen Antworten, sondern einen – demokratischen! – Gewaltakt. Eine gemeinsame, vielstimmige, jedenfalls parteiübergreifende Anstrengung kluger Köpfe, die nicht bloß zur eigenen Ego-Politur eine langfristige Image- und Informationskorrektur der Volksherrschaft herbeiführt. Wären die Protagonisten einer solche Angelegenheit auch nur halbwegs glaubwürdig und ehrenhaft, sie würden von gar nicht wenigen Unterstützung finden.

Auf den Telefonjoker verlassen wir uns besser nicht. Denn der wird längst auch in »modernen Demokratien« abgehört.

Thomas Weber, Herausgeber

weber@thegap.at

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