Im Rahmen von »Ganymed Nature« im Kunsthistorischen Museum bespielt die Syrerin Rania Mustafa Ali eine Station mit »Ranias Odyssee«.
Eine junge Frau, ein alter Meister, zwei Leinwände. Saal 5 im Kunsthistorischen Museum zeigt biblische Motive auf Gemälden des 17. Jahrhunderts – er riecht nach Ehrfurcht, Erhabenheit, Kunst und Geschichte. Der Boden knarzt, sonst ist es still, Neugier setzt ein. Ein Blick ins Programmheft verrät, dass sich die bevorstehende Performance auf Orazio Gentileschis »Ruhe auf der Flucht nach Ägypten« bezieht. Der Blick schweift nach rechts: Die Farben des Gemäldes aus 1628 strahlen, der Inhalt ist ruhig und ausdrucksstark. In seiner Stille erzählt dieses Bild eine ganze Geschichte: die der Flucht der heiligen Familie vor Herodes nach Ägypten, in dieser Momentaufnahme erschöpft und auf der Suche nach etwas Erholung. Josef liegt auf dem Gepäcksack, Maria stillt Jesus; ein Moment des Innehaltens.
Im Augenwinkel beginnt es zu flimmern. Rania Mustafa Ali steht in einem dunklen Kleid im Türstock, eine noch undefinierbare Videoprojektion spielt auf ihrem Körper. Dann beginnt sie zu sprechen. »Ich komme aus Kobane. So sieht es jetzt aus in Kobane.« Bei diesen Worten breitet sie ein Leinentuch vor sich aus, auf dem sich Szenen ihres Dokumentarfilms »Rania’s Odyssey« abspielen. »Für den Rest der Welt ist es eine Kriegszone, für mich ist es meine Heimat.«
Mit ihrem Film, der bereits 2017 groß von der britischen Zeitung »The Guardian« ausgespielt wurde, zeigt sie ihre eigene Flucht aus Syrien, die in Wien endete. In ihrer Performance im Museum verbindet sie ihn nun auf sehr emotionale Weise mit einem der ältesten und bekanntesten Fluchtmotive, das die abendländische Kunstgeschichte zu bieten hat. Sie nimmt das Leinentuch wieder ab und erzählt weiter. Von der Kriegszone, dem Elend, der Aussichtslosigkeit. Von den wenigen Dingen, die sie mitgenommen hat, von der abenteuerlichen und lebensgefährlichen Reise und den vielen unmenschlichen Erfahrungen, die sie dabei sammeln musste. Immer wieder breitet sie dazwischen das Tuch aus und zeigt Szenen des Films. An der Grenze zu Mazedonien fand sie im Zeltlager einen Moment der Ruhe. Ruhe auf der Flucht aus Syrien. Einen Moment, um das Erlebte zu verarbeiten, zu sich zu kommen, Frieden zu finden. Genau wie Josef und Maria und Jesus.
Rania Ali ist 22 Jahre alt und lebt nun seit eineinhalb Jahren in Wien. Sie engagiert sich aktiv für die Integration von Geflüchteten, auch im Rahmen international arbeitender NGOs.
Ihre aktuelle Performance im Kunsthistorischen Museum ist ihr ein Anliegen: Sie möchte den BesucherInnen eine gewisse Normalität näherbringen und zeigen, dass die Leute aus Kriegsgebieten normale Menschen sind, die aus normalen, banalen Gründen fliehen.
»Ich möchte in Dialog zu dem Gemälde unterstreichen, dass Flucht nichts Neues ist. Seit jeher sind Menschen vor Krieg und Verfolgung geflohen. Auch Religion spielt hier keine Rolle, es ist einfach etwas Menschliches.« Die Abende, an denen sie ihre Geschichte wieder und wieder erzählt, geben ihr Kraft. Manchmal kommen Tränen, manchmal tut es weh, doch es zeigt die menschliche Seite einer Geflüchteten, die ihre Träume mitgenommen hat und alles tut, um die Zukunft besser zu machen. Das Kunstwerk, das biblische Motiv, auf das sie sich bezieht, ist wie ein Spiegel – sie erkennt ihre eigenen Emotionen darin und den Horror, den Menschen auf der Flucht erleben müssen.
Am Ende zieht sie das Leinentuch wieder glatt, der Film wird laut: Tränengasattacke auf eine Gruppe von Flüchtlingen. Und dann ein Moment des Friedens.
»Ganymed Nature« findet noch bis 16. Juni 2018 im Kunsthistorischen Museum statt. Termine unter www.khm.at