Was bewegt uns noch, belustigt und beunruhigt uns? – Ungeschönte Geheimdokumente und ein bisschen Gossip, der auf Wikileaks zur Schau stellt, was die Mächtigen so voneinander halten. Wir ergötzen uns an ungewohnt klaren Worten, weil wir den gekünstelt geschliffenen Schönsprech der Offiziellen zum Speiben finden.
Ich hatte einmal das Vergnügen, ein kurzes Dossier über meine Person einzusehen, welches von seinem Verfasser nicht dazu bestimmt war, von mir gelesen zu werden. Zumindest glaube ich das. Denn natürlich hätte es Teil eines sinistren Masterplans sein können, mich den Wisch lesen zu lassen, um mich dadurch gefügiger zu machen. Was weiß man schon wirklich. Immerhin fühlte ich mich – als integer und inhaltlich interessiert beschrieben – durchaus in meinem Selbstbild bestätigt. Dass ich dem Unternehmen, dem das Dossier vorgelegt worden war, als tendenziell freundlich und jedenfalls nicht anti gesinnt geschildert wurde, traf die Sache auch. Verblüffend war nicht der Inhalt, sondern bloß die Knappheit, mit der ich meine berufliche Existenz in wenigen Worten konfrontiert sehen musste.
Kurz: Die paar Zeilen über mich waren harmlos und kaum der Rede wert, müssen aber dennoch als Beispiel herhalten dafür, dass es, wenn’s ums Funktionieren geht, keines schmückenden Beiwerks bedarf. Wollen die Mächtigen der Welt wissen, wie ihr Gegenüber abseits der bilateralen Bankette und supranationalen Gipfeltreffen tickt, brauchen sie klar formulierte Einschätzungen und Wertungen, aus denen sich konkrete Handlungen ableiten lassen. Da ist die deutsche Kanzlerin dann halt eine toughe Alte, aber wenig kreativ, und Berlusconi ein »physisch und politisch schwacher Regierungschef«, der als alternder Partytiger zuwenig Schlaf findet. Wundern würde einen bloß, wären derlei Deutlichkeiten plötzlich offiziell und für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen.
Dass in einer ersten Reaktion auf die Wikileaks-Veröffentlichungen der US-Verschlusssachen ausgerechnet Russland Verständnis dafür zeigte, dass sein Premier Putin darin als »Alpha-Rüde« bezeichnet wird, ist freilich kein Beleg für dessen völkerverständnisvolle Harmoniesucht. Eher spricht es für die besondere Belesenheit der russischen Beamten, was heikle Geheimdienstberichte betrifft. Sie sind Ärgeres gewöhnt.
Nun soll hier keinesfalls der Russian Way of Life schöngeredet werden und auch keine Kriegsrhetorik gepriesen (die berüchtigte »feine Klinge« ist letztlich auch nichts anderes, deutet sie doch die Subtilität des Hieb-und-Stichfesten an). Etwas mehr Klartext und Konfrontation mit aufrichtigen Anliegen täte der Welt aber schon gut. Wo mittlerweile selbst Ölkonzernchefs argumentieren, als wären sie die CEOs einer vordergründig am Gemeinwohl interessierten NGO.
Gerade die hiesige Intelligenzija sollte sich ein wenig aus der Konsens-Reserve wagen. Natürlich ist es bequemer, nichts zu sagen. Es geht dabei halt nichts weiter. Womit wir beim Austrian Way of Life wären, dem Beharren auf den Status quo – während die Welt sich rundum verändert. Was, nur nebenbei, zur drastischen Fehleinschätzung führt, dass die Welt sich um Österreich dreht. Die Verteilungskämpfe aber bleiben und werden – auch in Österreich – weiter geführt. Je weniger allerdings in der Öffentlichkeit gesagt wird, desto mehr wird im Abseits gepackelt, desto intransparenter werden prinzipiell legitime Einflussnahmen und Entscheidungsprozesse. Das begünstigt
a) all jene, von denen wir nie und nimmer wollen, dass sie zu massiv mitreden,
b) ein politisches Establishment, das froh ist, nichts aussprechen zu müssen und ungestört die althergebrachte Klientelpolitik betreiben darf,
c) diejenigen, die sich nicht zu blöd sind, radikal zu vereinfachen, was tatsächlich hochkomplex ist (weil sie – Klasse Burschen! – von Teilen der Bevölkerung als die einzigen angesehen werden, die sich Unbequemes überhaupt zu thematisieren trauen).
Klare Worte und Haltung, die sich nicht vor Konfrontation scheut, hätten zur Folge, dass wir – auch hierzulande – die offizielle Politik wieder ernster nehmen könnten. Vorausgesetzt, sie hat gegenüber übermächtigen Einflüsterern überhaupt noch etwas zu sagen.
Thomas Weber, Herausgeber
weber@thegap.at