Sex and the Lugner City: Delete Your Account

Josef Jöchl artikuliert in seiner Kolumne ziemlich viele Feels. Dieses Mal zum Thema Dating-Apps – und warum er mit ihnen abgeschlossen hat.

© Ari Yehudit Richter

Am Anfang sind wir alle Babys. Dann entwickeln wir Urvertrauen, Autonomie, Scham, Zweifel und Integrität. Damit fahren wir eine Weile ganz gut, bis wir irgendwann Mitte zwanzig all diese Errungenschaften über Bord werfen und uns Tinder runterladen. Es ist kein Geheimnis, dass Dating-Apps nicht die besten Eigenschaften in einem hervorkehren. Bei mir lösten sie regelmäßig eine extreme Zwanghaftigkeit aus, weshalb ich mich vor Kurzem entschloss, sie alle zu löschen. Stundenlang wischte ich mich durch Designer mit dreieckigen Tattoos, die Kaffee, Reisen und Sarkasmus mögen. Nach einem guten Match ging das Kopfkino los und ich sah uns schon Brunches ausrichten und gegenseitig unsere Sätze vollenden. Doch meistens wussten wir uns schon nach einem »Hey« nichts mehr zu sagen, weshalb ich bis heute keinen schönen Vorlegeteller besitze. Diesem Trauerspiel musste ich ein Ende setzen: kein Tinder mehr, kein Grindr, kein OK Cupid, kein Scruff, kein Willhaben, kein Facebook Messenger. Nie wieder wollte ich für einen Fingerhut Dopamin den Preis permanenter Availability bezahlen. Doch gibt es überhaupt ein Zurück aus dem virtuellen Heiratsmarkt?

You’ve Got Male

Mein Belohnungszentrum war längst nachhaltig durcheinandergeraten. Ohne Push-Nachrichten fühlte ich mich merkwürdig leer. So ist das auch gewollt. Ende der Nullerjahre verknüpften ein paar Ingenieure im Silicon Valley das GPS-Signal untrennbar mit den Sehnsüchten alleinstehender Menschen und ein bisschen Gamification. Was wenige wissen: Es waren schwule Ingenieure, die uns die Mutter aller modernen Apps bescherten. Nach einer nächtlichen Session standen sie vor einem mit Penissen vollgekritzelten Whiteboard und fragten sich: »Wie nennen wir bloß diese App, für die wir hier so hart grinden?« Der Rest ist Geschichte. Grindr landete erst nach einer Trennung auf meinem Handy. Anfangs hatte ich keine Ahnung, wie man sich auf der App verhält. Ich beantwortete jede Nachricht und versah meine auch noch mit Grußformeln, als wäre ich ein technikaffiner Pensionist und Grindr Whatsapp. Ich lernte jedoch schnell. Bald beschränkte ich mich nur noch auf das Nötigste.

Ein harter Grind

Es begann mich zu ärgern, wenn andere Nutzer die internationale Messenger-Regel missachteten: »Nachricht liken heißt Gespräch beendet.« Manche Typen fühlen sich durch einen Double Tap sogar noch ermuntert, weiterzuchatten und Bilder zu schicken wie aus der Cloud von Thomas Schmid. Dabei ist Zeit die harte Währung in den Apps. Nur zu einem Zweck schien Grindr noch zu gebrauchen: Wäre ich auf einem Ausflug mit ein paar Schwulen und einer verirrte sich, wäre es wegen der verlässlichen Meterangaben ein taugliches Navigationssystem. Aber ich mache nur selten Ausflüge, deshalb löschte ich die App. Bisher habe ich es nicht bereut, auch wenn ich meine Bundesländertouren vermisse. Nichts pusht das Ego so sehr wie eine Fahrt auf der Westbahnstrecke mit geöffnetem Grindr. Während du im Railjet die Landschaft an dir vorbeiziehen lässt, melden sich kontaktfreudige Landschwule bei dir und du kannst deine gönnerhafte Antwort copy-pasten: »Sorry, nur auf der Durchreise!«

Bei so manchen Aufenthalten in Attnang-Puchheim habe ich mich so tiefgehender unterhalten als auf Tinder jemals. Ein Tinder-Chat kann einfach so verdammt schnell south gehen, ungefähr wie eine alternative Realität in »The Butterfly Effect« mit Ashton Kutcher. Die Folgen sind in beiden Fällen schwere Unfälle, oder dass man sich auf der Straße nicht erkennt. Überhaupt fühlt sich Tinder an wie eine weniger gute Bonbonniere. Du weißt einfach nie, was du kriegst. Während dir Grindr die Profile aus deiner Nähe zeigt, wirst du auf Tinder zum Spielball eines Algorithmus. Außerdem hast du Wien und Bratislava relativ schnell durch, weshalb irgendwann nur noch Touristen übrigbleiben, die in Schwechat ihren Anschlussflug verpasst haben. Das war ja nun wirklich nicht der Sinn der Sache.

Sinn und Sinnlichkeit

Aber was war eigentlich jemals der Sinn der Sache gewesen? Schwierige Frage für ein kommunikationshungriges Baby. Queere Menschen waren schon immer eine Dating-Avantgarde. Aus notwendiger Heimlichkeit vernetzten wir uns längst mit den echten Bauern, als Heten noch »Farmville« gespielt haben. Wir haben die Apps zur Marktreife gebracht. Doch mit den Jahren fühlte ich mich von ihnen ein wenig verdorben. Zufrieden schaute ich auf meinen gesäuberten Screen und plante meinen Sommer ohne Location-basierte Kontaktdienste. Vielleicht ist es an der Zeit, die Augen dort offenzuhalten, wo sich Menschen noch wirklich begegnen und eine Kommunikation auf Augenhöhe entstehen kann: auf Instagram. Vielleicht bin ich aber auch schon post-post und entwickle einfach meine eigene Dating-App. Auf der darf man dann nur über Politik reden und höchstens 180 Zeichen schreiben. Ist zwar nur ein Arbeitstitel, aber ich glaube, ich nenne sie Titter.

Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Die kleine Schwester von Nett«. Aktuelle Termine sind auf seiner Website www.knosef.at zu finden. Per E-Mail ist Josef unter joechl@thegap.at, auf Twitter unter @knosef4lyfe zu erreichen.

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