Sex and the Lugner City: Der Charakter zählt

Josef Jöchl artikuliert in seiner Kolumne ziemlich viele Feels. Dieses Mal zum Thema Therapie – und warum es gut ist, regelmäßig seinen »Flugschreiber« öffnen zu lassen.

© Ari Yehudit Richter

Einmal dachte ich mir, ich hätte einen Turnschuh-Fetisch. Sofort ging ich in den nächsten Snipes und kaufte mir ein Sneaker-Putzmittel. Dann suchte ich, kurz, aber erfolgreich, nach einem Gleichgesinnten. Nach nur einer Begegnung war mir klar, dass meine Beziehung zu Turnschuhen eine rein platonische ist. Ich mag einfach bequeme Schuhe, that’s it.

Mit solchen Erkenntnissen kann ich arbeiten. Man weiß schließlich nicht immer genau, was gerade mit einem los ist. In meinem inneren Cockpit wird nämlich die meiste Zeit über gejausnet, während meine Psyche auf Autopilot geschaltet ist. Auf meinen erzwungenen Notlandungen zwischen Loveville und Sexytown kommt es deshalb hin und wieder zu mittelschweren Turbulenzen. Darum lasse ich regelmäßig den Flugschreiber öffnen, um herauszufinden, was auf der Langstrecke JOSEF1206 eigentlich schiefgelaufen ist. Damit möchte ich sagen: Ich bin therapieerfahren und habe eine problematische Beziehung zu Sprachbildern aus der Welt der Luftfahrt.

Talk, Valentina!

Das ist nichts Ungewöhnliches. Wir alle haben unser Päckchen zu tragen, wie man so schön sagt. Manche bezahlen sogar extra für Übergepäck. (Stop it, Josef!) Je mehr Menschen du kennenlernst, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass mal jemand dabei ist, der psychisch etwas hat. Das finde ich nicht weiter schlimm. Trotzdem erzählen sogar jene, die von ihrer Depression, ihrer Anxiety oder ihrem Borderline wissen, selten davon in ihrer Tinder-Bio. Zu schnell gilt so etwas als eine Red Flag.

Unpopular Opinion: Zu viele Red Flags zu haben, ist für mich die einzig wahre Red Flag. Wenn jemand beispielsweise auf einem ersten Date ausschließlich über seine*n Ex redet, muss das nicht bedeuten, dass die Airport Authority versagt hat. (Boah, Josef!) Es kann auch eine Gangway in eine Boeing 747 sein. Kiss and Ride, fasten your seatbelt, ready for take-off! (Peinlich, Josef!) Beziehungen zu und zwischen neurodivergenten Personen sind natürlich nicht davor gefeit, auf holpriger Piste zu starten. (Böser Josef!) Es kommt dabei immer darauf an, ob und wie man darüber spricht.

In a minute I’ma need a sentimental man or woman to pump me up

Zum Beispiel dieser neue Freund. Ich war mit ihm zum Kaffeetrinken auf der Mahü verabredet. Dazu sollte es aber nie kommen, weil er, kurz nachdem wir uns trafen, mitten im Frühjahr, vorschlug in den H&M zu gehen, um neue Fingerlinge zu kaufen. Dort angekommen probierte er eine Reihe weißer T-Shirts an, entschied sich dann aber für zwei Jogginghosen, bevor er beschloss bei einem Barbershop einen spontanen Haarschnitt einzuschieben. Weil der zuhatte, gingen wir in einen Billa und erledigten dort seinen ganzen Wocheneinkauf.

Dieses Treffen dauerte ca. 50 Minuten. Bei anderen Personen hätte mich dieses Verhalten zumindest gewundert, schließlich höre ich nichts lieber als die Frage »Tee oder Kaffee?«. Doch weil er mir während dieser ganzen Zeit erklärte, wie er mit ADHS lebt, was für ihn geht und was nicht, fühlte ich mich okay und gut aufgehoben, in etwa wie auf einem Alpenrundflug in einer schmucken Cessna 172. Es war plötzlich alles normal. Allerdings herrscht nicht jeden Tag perfektes Flugwetter.

Feelin’ fussy, walkin’ in my Balenci-ussies, tryna bring out the fabulous

Beziehungen stellt dieser erhöhte Kommunikationsaufwand oft auf die Probe. Das weiß ich von Frens, die mit Bipolaren oder Depressiven zusammen sind. Viel zu oft stellten wir uns bei akuten Problemen die Frage: Ist es die Störung oder ist er ein Arschloch? Mittlerweile glaube ich, dass es sich dabei um zwei völlig verschiedene Kategorien handelt. Es ist in jedem Fall, was es ist. Besser ist, wenn beide ihre Blackbox geöffnet haben. In Zeiten wie diesen schlägt so manches unbemerkt auf unsere Seelen. Deshalb frage ich lieber einmal öfter, wie es jemandem geht, den ich mag.

Viel vorsichtiger bin ich bei den »Normalen«, die jede alltägliche Einengung scheinbar mühelos bewältigen. Deshalb: mehr Therapie auf Krankenschein! Wer es sich leisten kann, macht sowieso Sachen wie EMDR oder Somatic Experiencing. Letzteres ist anscheinend eine Art Traumatherapie über die Füße. Dafür zieht man seine Turnschuhe aus (uuuughhhh…), was mich, wie eingangs erwähnt, auf sehr angenehme Gedanken bringt. Ich möchte es aber deshalb nicht unbedingt auf einer Flugzeugtoilette machen, wenn ihr versteht, was ich meine.

Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Die kleine Schwester von Nett«. Aktuelle Termine sind auf seiner Website www.knosef.at zu finden. Per E-Mail ist Josef unter joechl@thegap.at, auf Twitter unter @knosef4lyfe zu erreichen.

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