Suizid für die Kunst

Miss Platnum ist tot – lang lebe Miss Platnum! Manchmal braucht es einen Neuanfang um alte Klischees abzuschütteln. "Glück und Benzin" macht "halb-neu" mit RnB, Chanson und Balkan-Pop. So klingt Weltmusik für die urbane, europäische Metropole.

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Wenn Newcomer wie Dena oder bereits etablierte Künstler wie Miss Platnum dieser Tage Platten veröffentlichen, dann muss man irgendwie ein bisschen über Europa nachdenken. Oder zumindest über das, was es nach noch immer nicht ist. Denn wenn gebürtige Rumänen in der deutschen Hauptstadt traditionelle Balkan-Folklore mit Hip-Hop Elementen mischen, dann wird nach wie vor gerne mit Stereotypen um sich geschmissen: Mit Ostbraut zum Beispiel. Dann fragt man sich auch, ob wir außerhalb des Internets jemals für einen Binnenmarkt der Kulturen bereit sein werden.

Berlin am Balkan

1989 – im Jahr als die Mauer fiel – kam die damals 8-jährige Ruth Maria Renner nach Berlin. Dort nahm sie bald klassischen Gesangsunterricht, hörte nebenbei viel US-amerikanischen Hip-Hop und blieb zeitgleich mit der traditionellen Musik südosteuropäischer Länder verwurzelt. Das was auf ihren ersten Platten zu hören war, wurde schnell als Balkan-Pop bekannt: Stakkatobläser und Cheerleader-Chöre mit leichtem Akzent, verspielte orientalische Melodien und stampfende Beats. Ein Sound für das multikulturelle Berlin, für den sich bald Künstler wie Peter Fox, Yasha oder Marteria zu interessieren begannen. 2012 schoss dann eine Pop-Hymne auf Platz Eins der deutschen Charts, mit denen die musikalische Identität der Miss Platnum gar nichts mehr zu tun hatte. "Lila Wolken" wurde zum Hit – die Sicht auf Miss Platnum immer mehr vertrübt.

"Alles schon gesagt"

Dem neuen Album "Glück und Benzin" geht der Slogan "Miss Platnum ist tot – hoch lebe Miss Platnum" voran. Sein Alter-Ego begraben und wiederauferstehen lassen ist ein alter Hut im Pop und beste Voraussetzung, um alte Klischees der Vergangenheit zu beseitigen. Im R&B-Opener "99 Probleme" (Ja, natürlich eine kleine Hommage an Jay-Zs "99 Problems") heißt es: "Ich krieg nen guten Rat – iss mal mehr Salat. Hör dir meine alten Platten an, ist alles schon gesagt". Diese Phrase kann man sehr gut nachvollziehen. Dass Miss Platnum mit ihrem Hit "Give me the Food" die Stimme für die – sagen wir – etwas dicklicheren Frauen unter uns erhob, war ein starkes Zeichen. Und trotzdem, die Plankette der "feministischen Emanze" bekam sie nie wieder ab.

Ebenso den Shitstorm, den sie im Schatten von Hip-Hop Liebling Marteria aushalten musste. So heißt es im selben Lied ein paar Zeilen später "Guck mal nach im Netz was die Masse so sagt, die finden Lila Wolken gut, doch hassen meinen Part". Und da wird einem schlagartig klar: Die alte Miss Platnum war vor allem von allem zu viel.

Jetzt auch auf Deutsch

Die neue Platte birgt zwei große Veränderungen: Dass jetzt auf Deutsch gerappt und gesungen wird ist die wahrscheinlich Wichtigste. Die Texte sind persönlicher, erzählen von einer Person hinter der Sängerin, die einem bisher unbekannt war: Die unsichere, introvertierte, menschlichere Miss Platnum. "Ich weiß ich bin schwierig" gibt sie in "Gläser an die Wand! zu und dann: "Wir waren nie das nette Paar von Nebenan". Auch Beziehungen brauchen oft einen Neuanfang.

Mehr R&B, mehr Chanson

Die zweite große Veränderung betrifft den Sound: "Glück und Benzin" ist mehr R&B, mehr Chanson und Soul als Arabeskpop. Zu hören gibt es Balladen wie etwa "Frau Berg" oder "Nur die Liebe", dann aber auch viel Autotune, Pop-Refrains und sogar Geigen. "Letzter Tanz", "99 Probleme" und "Glück und Benzin" hingegen sind lupenreine, moderne und gut tanzbare Hip-Hop Hits geworden. Eine M.I.A blitzt hier ebenso durch wie Shantel.

Wie das Video zu "99 Probleme" zeigt, ist Miss Platnum heute mehr als nur feministische Rapperin. Da geht es um Emanzipation ebenso wie um den Vorwurf des "Sozialtourismus", Ausbeutung und Armut. Da wird in Bukarest getanzt und im nächsten Schnitt in Kreuzberg. In Europa halt.

Die Autorin auf Twitter: @franziska_tsch

"Glück und Benzin" von Miss Platnum ist bereits erschienen.

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