Musik ist vergänglich. Die des Vegetable Orchestra noch mehr. Ihre Instrumente verrotten am Kompost. Zum Glück können ihre Sounds heutzutage auf CD schockgefroren und dauerhaft ausgestellt werden. Die Band hat via Mail einige drängende Fragen beantwortet.
Gibt es innerhalb der Band eine fixe Gemüseaufteilung?
Ernst Reitermaier: Nein, jede Musikerin und jeder Musiker spielt 10-20 verschiedene Instrumente während eines Konzerts. Allerdings haben sich im Lauf der Zeit gewisse Spezialisierungen ergeben, die sind allerdings nicht ‚absolut‘.
Nikolaus Gansterer: Zum Teil hat das sicher auch mit den verschiedenen Kontexten zu tun, aus denen die Mitglieder des Ensembles stammen: wir speisen das Projekt aus Einflüssen aus Musik, Design, Bildender Kunst und Perfomance, die hier zu etwas Neuartigem verwoben werden.
Habt die Erfahrung gemacht, dass durch den Sound, den ein Gemüse macht, sich auch der Appetit auf verändert hat?
Ernst Reitermaier: Nein.
Nikolaus Gansterer: Hmm, sicher bekommt man einen anderen Blick auf gewachsene organische Materialien. Vieles was zu schnell gewachsen ist (Stichwort holländisches Zuchtgemüse), schmeckt trotz enormer Grösse langweilig und klingt auch nicht gut. Es kommt auf die Konsistenz des Materials an!
Bedient ihr euch aus dem Supermarkt-Sortiment? Wo sind die Grenzen eures Instrumentariums?
Ernst Reitermaier: Am Besten sind Märkte, in Wien z.b. der Naschmarkt. Ein Supermarkt bietet meistens zu wenig Auswahl und ist vor allem zu klein.
Nikolaus Gansterer: Speziell wenn wir auf Tournee sind und zb Strassenmärkte in Asien besuchen, gibt es immer wieder tolle Entdeckungen von seltenen Gemüsesorten, die uns dann durchs Experimentieren damit wiederum auf neue Instrumente und neue Sounds bringen. In Supermärkten findet man ja meist bloß Normgemüse. Gerade die Vielfalt der Sorten ist für uns aber entscheidend. Das Projekt ist ja getragen von dem Gedanken die Grenzen dessen was wir „Musik“ benennen zu erweitern. Das geschieht einerseits durch das Zusammenwirken von Menschen, die sich zu einem Orchester organisieren und Wissen generieren wie dieses alltägliche, organische Material in Klangerzeuger transformiert werden kann. Diesem Forschungsprozess sind keine Grenzen gesetzt. Im Grunde fände ich es sehr reizvoll den Gedanken weiterzuspinnen und den Prozess der Soundgenese möglichst früh anzusetzen und beispielsweise mit Biologen gemeinsam neue Sorten zu kreuzen und Instrumente zu züchten.
Ernst Reitermaier: Grenzen? Wie ist das gemeint? Wir verwenden z.b. definitiv kein Obst und auch keine ‚herkömmlichen‘ Instrumente …
Wollt ihr nur aus den Teilen, die man essen kann, Instrumente bauen? Der Kolben eines Maiskolbens könnte ja ein Instrument sein… Und angeblich verwendet ihr ja auch Plattenspieler – was das Konzept deutlich aufbrechen würde …
Nikolaus Gansterer: Die wesentlichen Klangerzeuger bleiben dabei immer die Gemüseteile.
Sind Tomaten und Avocados Gemüse?
Nikolaus Gansterer: Die Defintion dessen, was Gemüse ist, hat viel mit kulturellen und somit auch wieder mit kulinarischen Essgewohnheiten zu tun. Den Avocados haben wir bisher noch nicht ihr musikalische Potential entlocken können …
Werden eure Instrumente für Konzerte vor Ort produziert oder teilweise vorgefertigt? Wird restverwertet – was passiert mit dem Gemüse nach dem Konzert?
Ernst Reitermaier: wir müssen vor jedem Konzert unser gesamtes Instrumentarium frisch herstellen, nach dem Konzert geben wir die Instrumente dem Publikum, das nicht verwendete Gemüse wird bereits vor dem Konzert zu einer Gemüsesuppe verarbeitet…
Nikolaus Gansterer: …. die wir dann nach dem Konzert ans Publikum ausschenken. An diesem Punkt schließt sich wieder der Kreis und das Gemüse wird wieder zu dem was es ist ein Lebensmittel.
Ist es auf Tour manchmal schwierig jedes Instrument zu bekommen? Und wie lange könntet ihr mit einem großen Kühllaster auf Tour gehen?
Nikolaus Gansterer: Unsere Instrumente sind sehr sensibel und es bedarf sorgfältiger Handhabung, da sie ja zu über 98% aus Flüssigkeit bestehen – zumal sie ja bis zum Moment des Verzehrs oder Zerfalls etwas Lebendiges und Organisches bleiben, das heißt ihre Zellstruktur lebt und arbeitet ja auch noch weiter nach dem Ernten und das beeinflusst wiederum den Sound nachhaltig.
Ernst Reitermaier: Wir besorgen das Gemüse immer vor Ort (bzw. bestellen es schon vor). Natürlich ist nicht jedes Gemüse überall zu bekommen (z.b. Bierrettich ist oft schwierig…), aber gerade dadurch erfinden wir immer wieder neue Instrumente. Ich persönlich finde es einen schönen Aspekt dieses Projekts, dass wir unser Instrumentarium nicht mitbringen sondern vor Ort besorgen.
Habt ihr schon versucht nachhaltiger bzw. dauerhafter Instrumente zu machen – durch Trocknen etwa?
Ernst Reitermaier: Wir haben einige getrocknete Instrumente (Zeller-Klappern, Zwiebelschalen, Kalebassen-Hörner). Aber im Prinzip ist die Vergänglichkeit unserer Instrumente ein wichtiger Bestandteil der Grundidee, wir sind also nicht interessiert daran, unsere Instrumente dauerhaft haltbar zu machen.
Nikolaus Gansterer: Ich glaube genau das ist das reizvolle an diesem Kunstprojekt , das wir an der Schnittstelle zwischen Musik, Performance, aber auch Forschung angesiedelt haben und seit über 12 Jahren uns dem Potential dieses lebendigen Materials jenseits seiner bloßen Verwendung als Nahrungsmittel widmen.
Legt ihr Wert, dass euer Gemüse biologisch angebaut wurde?
Nikolaus Gansterer: Also grundsätzlich fände ich es sehr wichtig, dass alle Lebensmittel biologisch angebaut werden. Alles andere ist ein Auswuchs der Agroindustrie und dient nicht dem Verbraucher sondern der Marktwirtschaft.
Ernst Reitermaier: Als Nahrungsmittel: ja. Als Instrumentarium: nein. Es muss eine gewisse Größe haben und vor allem nach Möglichkeit das ganze Jahr über erhältlich sein.
Habt ihr schon mal nachgeforscht wo sonst auf der Welt Gemüse als Grundlage von Instrumenten dient – die Cabaca zum Beispiel – und versucht das nachzubauen?
Ernst Reitermaier: Für uns ist es interessanter diese Experimetne selbst zu machen; aber wir holen uns natürlich gerne Anregungen von außen. Aber wie gesagt, es geht uns vor allem um frische Instrumente (z.b. die ‚Löwenzahnoboe‘), weniger um Instrumente aus getrockneten Kalebassen.
Wie genau kann ein Song rekonstruiert werden, wo doch gerade Pfeiflaute bei Ein-Tages-Instrumenten schwer reproduzierbar sind?
Ernst Reitermaier: Melodien SIND schwierig, aber möglich.
Nikolaus Gansterer: Wir arbeiten sozusagen mit der Zeit gegen die Zeit und das Moment der Vergänglichkeit ist dabei immer präsent.
Wie groß ist der Improvisationsaspekt live eine Melodie, ein Rhythmus und der Rest ergibt sich?
Nikolaus Gansterer: In der Arbeit an den neun Stücken und Kompositionen spielt anfangs die Improvsation eine wichtige Rolle, dann wird arrangiert und immer wieder weiter dran gefeilt. Grundsätzlich sind aber alle Stücke notiert, teils mit speziellen graphischen Partituren und verschiedenen visuellen Notationssystemen.
Wenn das ganze Orchester mitentscheidet – wie findet man den Punkt, an dem ein Song für das Album fertig ist?
Ernst Reitermaier: Wenn alle der Meinung sind, es sei fertig. (natürlich, das dauert…)
Nikolaus Gansterer: Speziell die Arbeit am neuen Album „Onionoise“ war ein langer, aber sehr spannender, weil organischer Prozess: in Kleingruppen wurden Stücke entwickelt, dem Orchester vorgestellt, gemeinsam geprobt, zum Teil wieder verworfen, abgelegt und wieder aufgegriffen und neu verarbeitet und schließlich eingespielt, abgemischt…und bühnetauglich für die Live Performance gemacht.
Also nur Bauchgefühl? Klingt nach Konsens, nicht nach künstlerischer Vision …
Nikolaus Gansterer: Das Orchester ist ein kollektiver Klangkörper, der speziell in der Arbeit mit unseren hochsensiblen Instrumenten Präzision und Organisation braucht. In der Entstehung der Stücke gibt es musikalischen Ideen Einzelner, die natürlich vom gesamten Orchester umgesetzt und hörbar gemacht werden müssen. Gerade diese Synthese zwischen Gefühl und einer klaren musikalischen Idee getragen von einem Klangkollektiv zeichnet dieses Orchester seit vielen Jahren aus.
Vieles klingt bei euch nach Computertextur – wie sehr ist das Gemüseorchester auch in experimenteller Elektronik verwurzelt?
Nikolaus Gansterer: Die eigene intensive Beschäftigung mit experimenteller und elektronischer Musik hat sicher auch dazu beigetragen die Einzigartigkeit vieler der mittels Gemüse produzierten Sounds zu begreifen und die Erweiterung der eigenen Hörgewohnheiten zu kultivieren. Das wir wiederum manche der Sounds als computergeneriert wahrnehmen, obwohl sie doch ja mit relativ einfachen Mitteln (Beispiel Petersilgeige) erzeugt werden, finde ich als kulturelles Phänomen interessant – reverse eningeeering of nature!
Ernst Reitermaier: Experimentelle elektronische Musik ist aber sicher eine Stilrichtung, mit der viele von uns etwas anfangen können.
In Wien mit dem Projekt Food Design eine weitere nicht unähnlich gelagerte Forschungsinteressengruppe, die sich auch mit dem Sound von Essen beschäftigt hat – gibt es Verbindungen?
Ernst Reitermaier: Dieses Projekt ist mir leider nicht bekannt… klingt allerdings eher nach ‚Sound Design‘ im Sinn von ‚appetitliches Chipsknuspern‘ und ‚cooles Bierflaschenzischen‘, weniger nach musikalischem Interesse. Oder liege ich da falsch?
Das Ganze ist ein Projekt zweier Architekten von der Angewandten. Es geht dabei um Sound Design, aber auch um allgemeingültige anthropologische Aspekte des Klangs von Nahrung. "Frische" Sounds sind ein wesentlicher Teil eurer Musik, oder?
Nikolaus Gansterer: Habe auch bisher nichts von dem Projekt gehört. Aber weltweit beginnen Menschen aus verschiedensten Kunstssparten sich eben wieder vermehrt auf organische und nachhaltige Materialien und Werkstoffe zu konzentrieren. Das ist begrüßenswert!
"Onionoise" vom Vegetable Orchestra erscheint am 3.12. via i>Monkey Music. Am 13.12. findet das Release-Konzert im Wiener i>Radiokulturhaus statt. Wahlweise kann der Sound of Kohlrabi auch in der eigenen Küche nachgestellt werden.