Nach mehreren Jahrzehnten, in denen die Wiener Popmusikgeschichte aus gerade einmal ein paar Samplern und Diplomarbeiten bestand, erscheinen 2013 gleich drei Bücher, die sich sehr unterschiedlich mit dem Thema auseinandersetzen und allein deshalb schon unverzichtbar sind.
"Im Puls der Nacht - Sub- und Populärkultur in Wien 1955-1976" von Heinrich Deisl, 240 Seiten (turia + kant) (© Verlag turia + kant)
Den Anfang machte Heinrich Deisl, Chefredakteur des Musikmagazins /Skug/, mit einem soziologischen und kulturwissenschaftlichen Buch, das auf engstem Raum Fakten und verschüttetes Wissen über Wien verdichtet. Man merkt ihm in jeder Zeile den Einsatz an, mit dem hier gearbeitet wurde. Das Thema, die Jahre 1955 bis 1976, kommen zwar erst relativ spät vor, das erweist sich aber ausnahmsweise überhaupt nicht als Nachteil. Deisl klebt Theoreme, Filme, Politik, Songs und Alltag aneinander und liefert damit das anspruchsvollste der drei Bücher ab. Deisl arbeitet dabei nicht streng wissenschaftlich, er filtert und interpretiert, das aber mit so viel Sachkenntnis, dass man ihm bereitwillig auf Erkundungsreise folgt.
»Wienpop: Fünf Jahrzehnte Musikgeschichte erzählt von 130 Protagonisten« von Walter Gröbchen, Thomas Mießgang, Florian Obkircher, Gerhard Stöger, 400 Seiten (Falter Verlag) (© Falter Verlag)
Der dickste Ziegel mit unzähligen Interviews, ein paar Millionen Zeichen Transkripte, die thematisch collagiert wurden, wie man das bereits von »Verschwende deine Jugend« über deutschen Punk bzw. »Es muss was geben« über Linzer Punk kennt und schätzt. Der Vorteil: Es werden darin viele unterschiedliche Meinungen und Wahrheiten abgebildet, neigt nicht zu Geschwurbel und ist damit sehr angenehm zu lesen. Der Nachteil: Wie wählt man aus? Wen lässt man überhaupt zu Wort kommen? Kann man Drum’n’Bass in Wien ignorieren, nur weil es in den 90ern wenig Artefakte, also Platten dazu gab? Von allen Büchern taugt es sicher am meisten als Geschenk, kommen doch gefeierte Leute wie André Heller, Marianne Mendt, Wolfgang Ambros, Kruder & Dorfmeister ausgiebig zu Wort. Obendrauf gibt es noch Massen an Plattencovers und unschätzbare Fotos aus Archiven. Verfilmung anyone?
»Schnitzelbeat – Handbuch zu Rock-N-Roll, Beat, Folk, Pop und Proto-Punk in Österreich (1956–1976)« von Al Bird Sputnik, presented by Trash Rock Archives, 300 Seiten (Redelsteiner Dahimène Edition) 1 (© Redelsteiner Dahimène Edition)
Al Bird Sputnik kommt zu Recht auch in »Wienpop« üppig vor. Im Unterschied zu den anderen hat er mit seinem Buchprojekt über Beatmusik in Österreich einen enzyklopädischen Anspruch auf Vollständigkeit und versteht sich als Fan und Sammler, der die verschüttete Geschichte von Rock in Österreich vor und während Austropop mit Tonnen von Archivmaterial und Jahren der Recherche mit den Trash Rock Archives (Youtube-Kanal bitte abonnieren) wieder zugänglich machen will. Über 100 Zeitzeugen wurden dafür aufgespürt, mehr als 1.000 Covers, Bandbiografien werden mit Essays interpoliert. Das Buch soll im Dezember erscheinen, davor soll ein Sampler veröffentlicht werden.
Zum Thema Wienpop außerdem:
Coverstory Wienpop – Wie klingt Wien heute
Gespräch mit Patrick Pulsinger, Vera Kropf, Cid Rim und Trishes