The Sound of Plattentektonik

Wer denkt, dass es bei "Biophilia" nur um Sound geht, der irrt. Die Bühnenshows von Björk setzen neue Standards wie wir Pop abseits vom Internet inszenieren müssen: Die Viennale zeigt jetzt das Kino-Debüt der isländischen Sängerin als fesselnde Konzert-Doku.

The Sound of Plattentektonik

Die bei der Viennale präsentierte Konzertfilm-Doku "Biophilia live" zeigt, wie so etwas funktioniert: Live macht Björk das Musical, das sie mit ihren Apps, Videos und aufwändigen Booklets nur andeutet. Auf Synths und Beats abgestimmtes Donnergrollen und Blitzgewitter, der Blick durchs Mikroskop als in den Raum projizierte Kunst-Collage oder farbenfrohe DNA-Stränge, die sich durch den Raum schlängeln. Dickflüssiges Lavagestein bewegt sich zu Dubstep über die Wände wie ein feuerroter Gebirgsbach, wird heller und explodiert plötzlich über den Köpfen des Chors wie eine Flutwelle.

Der preisgekrönte Tierfilmer David Attenborough, der auch schon Material für Björks App-Serie geliefert hat, kramte für diese Doku in seinem Repertoire: Seesterne und Unterwasserschlangen winden sich durch eine moosgrüne Unterwasserlandschaft, die Stacheln des Seeigels funkeln wie mit Diamanten besetzte Antennen. Dann sieht man eine Zellteilung zu trashigem Elektro-Pop. Der menschliche Körper, unser Ökosystem wirken plötzlich wie ein wilder LSD-Trip. Vor diesen Lichtinstallationen und Video-Wänden spaziert Björk und zügelt die Naturgewalten mit ihrer Stimme. Sie trägt ein Kleid das aussieht, als hätte man die Eingeweide von Innen nach Außen umgekehrt und mit Litschi-Farbe übergossen. Spätestens jetzt weiß man, wie das Naturhistorische Museum und das Geografie-Studium in einer anderen Welt klingen könnten.

Kräftemessen mit dem Universum

Warum also sollte man sich diese Doku ansehen, die eigentlich eine erweiterte und grandios geschnittene Live-Performance der Künstlerin ist? Viele haben das "Biophilia" Projekt 2011 für technischen Firlefanz gehalten. Diamanten, die man in einer bestimmten Reihenfolge einzusammeln hat um einen weiteren Teil des Songs freizuschalten zum Beispiel. Nicht jeder kauft sich zu jedem Song eine App um 1,59 €. Genau diesen Leuten, die sich das Album nur heruntergeladen und nebenbei beim U-Bahn fahren gehört haben, ist damals etwas Wichtiges entgangen: Biophilia ist die Liebe zur Natur in all seinen Facetten. Klar, es setzt neue Standards wie sich Popkultur im viralen Zeitalter vermarkten lässt. Vor allem aber ist es ein Kräftemessen mit dem Universum, das man gesehen haben muss um es richtig zu hören. Oder auch: Auf der Platte hört man Björk flüstern, im Internet schreien und auf der Bühne brüllen.

"Biophilia" läuft heute um 23.00 im Gartenbaukino Kino im Rahmen der Viennale.

Die Autorin findet man einstweilen auch auf ihrem Planeten Twitter unter @franziska_tsch

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