»Ein Instrument zur Bevölkerungsregulierung« – Thomas Fürhapter im Interview zu »Die dritte Option«

In seinem – auch formal – außergewöhnlichen Dokumentarfilm »Die dritte Option« beschäftigt sich Thomas Fürhapter mit den biopolitischen Implikationen der Pränataldiagnostik. Ein Gespräch darüber, was in unserer Gesellschaft als normal und was als abnormal gilt, welche Rolle ökonomische Kriterien dabei spielen und wie freiwillig die Entscheidung für den Spätabbruch einer Schwangerschaft tatsächlich sein kann.

Auch die Rassenhygiene der Nationalsozialisten als extreme Form der Biopolitik wird im Film angesprochen. Siehst du da einen direkten Bezug zu Pränataldiagnostik und dem Thema Spätabbruch?

Das Verhältnis von Spätabbruch zu anderen eugenischen Praktiken oder die Frage, ob ein Spätabbruch überhaupt als eugenische Praxis bezeichnet werden kann, ist schon länger Thema – spätestens seit den 80er-Jahren ist das flächendeckend aufgegriffen worden. Mir ist es darum gegangen, das anzusprechen, ohne es in die eine oder in die andere Richtung zu simplifizieren. Die eine Fraktion sagt, das habe überhaupt nichts miteinander zu tun, da gehe es nur um das individuelle Wohl der Frau oder des Paares. Manchmal wird auch argumentiert, dass es für das möglicherweise behinderte Kind besser sei, wenn es gar nicht auf die Welt kommt. Und von der anderen Fraktion heißt es, es sei genau dasselbe wie im Nationalsozialismus. Natürlich ist beides Blödsinn. Aber man kann schon fragen, ob es da eine Art Kontinuität gibt.

»Die dritte Option« © Navigator Film / Thimfilm

Der Gesetzestext zum Spätabbruch spricht von der »Gefahr einer Behinderung«, legt er damit nicht eigentlich auch eine Entscheidung nahe?

Das Gesetz sagt nicht, was man tun soll. Er sagt nicht, man soll das vermeiden. Das braucht es auch nicht, weil es eh automatisch funktioniert, glaube ich. Aber dass Behinderung als Gefahr gesehen wird, ist natürlich keine positive Darstellung. Es wird auch nicht gleich behandelt, es gibt dafür eine gesetzliche Ausnahmeregelung. Wenn das Kind sozusagen auffällig geworden ist, dann kann man es bis zur Geburt abtreiben. Darin drückt sich nicht gerade eine Wertschätzung gegenüber Normabweichungen aus. Aber das passiert natürlich alles »freiwillig«, was ja auch eine Interpretation des Unterschieds zum Nationalsozialismus ist. Doch wie freiwillig ist das wirklich? Man müsste sich als Elternteil ja für etwas entscheiden, das gesellschaftlich nicht besonders angesehen ist. Und sich womöglich noch Fragen anhören: Wozu das Ganze? Muss eh nur leiden. Und was das nicht alles kostet, das hätte man doch vermeiden können … Das sind ja auch Klischees, die mit Behinderung verbunden sind.

Welche Rolle spielen bei dieser Entscheidung Begrifflichkeiten – dass man etwa Fötus sagt und nicht Kind? Soll dadurch eine gewisse Distanz aufgebaut werden?

Ich glaube nicht, dass das bewusst so eingesetzt wird. Und die Frage ist ja auch berechtigt: Wann wird man von einem Zellhaufen zu einem Menschen oder zu einer Person? In der Sprache gibt es, vereinfacht gesagt, zwei Begriffe: Mensch und Fötus. Mensch oder Nichtmensch, Person oder Nichtperson – da ist das ganz klar getrennt. In Wirklichkeit ist es natürlich eine kontinuierliche Entwicklung. Rund um die findet dann ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess darüber statt, wo man die Grenze zieht.

Auf der juristischen Ebene ist es genauso: Ab dem Zeitpunkt der Geburt gilt man als Person, der alle Rechte zustehen – sowohl behinderten als auch nichtbehinderten Personen. Nach der Geburt ist es gesellschaftlicher Konsens, dass man niemanden töten darf. Vor der Geburt gilt diese Gleichstellung nicht. Man kann jetzt natürlich sagen, da das juristisch noch keine Person oder kein Mensch ist, ist das auch moralisch kein großes Thema, aber der Selektionsgedanke zwischen Normalen und Abnormalen bleibt ja. Und die Abnormalen sind vorgeburtlich rechtlich weniger geschützt als die Normalen.

Interessant ist natürlich auch, warum es gerade der Zeitpunkt der Geburt ist, an dem man zum Menschen wird.

»Die dritte Option« © Navigator Film / Thimfilm

Wegen der Sichtbarkeit?

Ja, genau, aber es gibt auch die These, dass, wenn man die Sichtbarkeit als das Merkmal der Menschwerdung annimmt, die Pränataldiagnostik durch die bildgebenden Verfahren den Zeitpunkt der Geburt eigentlich vorverlagert. Im Film kommt ein Satz vor, der ursprünglich von (der Wissenschaftshistorikerin; Anm. d. Red.) Barbara Orland stammt: »Der Mensch entsteht im Bild.« Dadurch wird auch die moralische Frage größer. Also der eigentliche Zeitpunkt der Geburt ist schon früher anzusetzen und nicht erst mit dem Ortswechsel raus aus dem Bauch.

Wenn man jetzt zu dem Ergebnis kommt, okay, wir vereinheitlichen die Grenze vorgeburtlich, um den Vorwurf zu entkräften, dass das behindertenfeindlich ist, dann ändert sich an den Normvorstellungen ja nicht viel. Wenn man sagt, man streicht diesen Paragrafen, man darf nur bis zum dritten Monat abtreiben, dann wird ein gesellschaftliches Problem allein auf dem Rücken der Frau ausgetragen, ohne dass dann noch viele der Rahmenbedingungen auch mitgeändert worden wären, die einfach nicht von heute auf morgen verändert werden können. Da es eine über Jahrzehnte gewachsene Gesellschaftsformation ist, in der wir leben, ist das nicht einfach so auf einer gesetzlichen Ebene zu lösen.

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