Für alle Lebensbereiche gibt es Einrichtungen, an die man sich bei Bedarf wendet. Zum Brandlöschen an die Feuerwehr, zum (Nicht-)Lernen an die Schule … und für Außergewöhnliches ist Hosea Ratschiller als eloquenter Experte für praktisch alles im Staatsfunk zuständig.
Radio macht der FM4-Ombudsmann, Kabarettist und Autor Hosea Ratschiller schon, seit er 16 ist – zuerst beim Kärntner Radio Agora, dann bei Radio Orange 94.0 in Wien. 2000 wurde er gemeinsam mit seinem dortigen Live-Partner Lukas Tagwerker („Klub Karate“) zum öffentlich-rechtlichen Jugendsender geholt. Als Autor und Sprecher erkämpfte er sich mit diversen von ihm konzipierten Mini-Formaten wie „FM3000”, „Die Experten”, „FM4 Sommerloch”, „FM4 Betthupferl” oder „Chance 08” beharrlich eigene Sendeplätze. 2006 hatte dann der – gemeinsam mit Martin Puntigam erdachte – FM4-Ombudsmann seinen ersten Auftritt und seither gehört Ratschiller zum fixen Inventar der FM4-Morgenshow. „Ich mache alles, was ich tue, ausschließlich für mich selbst. Das Publikum spürt das", erklärte der 28-jährige Querdenker aus Klagenfurt einmal sympathisch selbstironisch sein Erfolgsrezept.
Seit letzten November versetzt das Autorenduo Ratschiller/ Puntigam auch die beschauliche Welt der Ö1-Hörer einmal wöchentlich in Aufruhr: „Welt Ahoi" heißt das neue Satire-Magazin, das am sonntäglichen Sendeplatz des jahrzehntelangen Ö1-Kabarett-Flagschiffs „Der Gugelhupf“ bereits für unerwartet heftige Qualitätsdiskussionen unter der bildungsbürgerlichen Stammhörerschaft gesorgt hat. Der Abschied des „Guglhupf“-Teams um Lore Krainer und Kurt Sobotka nach 31 Jahren und 1.700 Folgen hinterließ eine Aufregung, wie sie nur mehr mit den Reaktionen auf das Absetzen der ähnlich beliebten Programme „Morgenturnen“ und „Die technische Rundschau“ vergleichbar ist. „Das Anruferprotokoll über das Nachfolgeformat ist so ziemlich das Vernichtendste, das je über eine Ö1-Sendung einlangte“, konstatierte Ö1-Programmchef Alfred Treiber, der letzen Sommer mit der jungen, wilden Truppe – neben Ratschiller und Puntigam sind noch Maria Hofstätter, Thomas Maurer und Robert Palfrader mit an Bord – einen Drei-Jahres-Vertag unterschrieb.
Pumuckl als Berufsziel
Nach seinen abgebrochenen Studien der Geschichte, Philosophie und Theaterwissenschaften und dem mehrjährigen Teilzeitprekariat als Jungspund beim Alternativradio sei das Ö1-Engagement für ihn eine vorläufige Existenzsicherung, mit der er erstmals vom Radiomachen leben könne, erklärt Ratschiller bei unserem Treffen in der leicht angestaubten Atmosphäre der Votiv-Bar. Das schräge Sendungsformat liege ihm: „Es ist eine große Auszeichnung, die Satiresendung von Europas spannendstem Radiosender zu machen. Wir können im Grunde tun und lassen, was wir wollen.“
Wie entstehen eigentlich all die absurden Ideen, mit denen er als Autor, Sprecher und Stimmimitator für die FM4-Hörer zum beliebten Show-Stopper wurde? „Meine großen Vorbilder fürs Radio waren von Anfang an Clemens Haipl, Herbert Knötzl und Gerald Votava von Projekt X. Beim ‚Ombudsmann‘ sind die meisten Anfragen ja tatsächlich echt, was beinahe niemand für möglich hält. Unsere Überlegung war, dafür eine Figur zu entwickeln, die im Radio alles sagen darf. So haben wir diesen überfreundlichen Herrn erfunden, der ein unfassbares Wissen hat, aber durch die Art, wie er formuliert und durch seine Argumente letztlich immer für die Freiheit und nicht für die Konformität eintritt. Es war immer schon eine These von mir, dass Ultra-Konservative und Punks eigentlich recht gut zusammenpassen. Meine Lieblingsfernsehserie als Kind war ‚Meister Eder und sein Pumuckl‘, da sieht man das ja sehr schön, wie der rostige alte Herr und der Punk zusammenleben, und sie verstehen sich wunderbar.“
Lässt sich davon auch eine frühe Berufung zum komödiantischen Schauspieler, zum Spaßmacher auf der Bühne ableiten? „Nicht direkt. Ich habe nie in meinem Leben einen realistischen Berufswunsch gehabt. Ich wollte immer so werden wie die Figuren aus meinen Kinderbüchern, nie Feuerwehrmann, Arzt oder Lehrer. Später ist dann eine ernsthafte Beschäftigung daraus geworden, und die Frage war, ob als Regisseur oder Schauspieler. Ich bin draufgekommen, dass ich schnell bemerke, ob es einer Person gut geht oder nicht, und dann interessiere ich mich dafür, warum das so ist – und das hat sehr viel mit dem Schauspielen zu tun.“
Die Frisur des Bundeskanzlers
Die Lust, Räume aufzumachen wo eigentlich gar keine sind, in Zwischenformen zu arbeiten, wo nicht alles abgesteckt ist, sich auf Themen einzulassen, wo man sich selbst nicht sicher ist – all das zieht sich als kreative Spur durch Hosea Ratschillers bisherigen künstlerischen Lebenslauf. Die gleiche Maxime gilt für sein zweites berufliches Standbein, das Kabarett. Im Mai 2009 hatte er mit seinem Soloprogramm „Liebe Krise 2.0“ im Kabarett Niedermair Premiere, davor hat er als Mitglied der jährlichen „Weihnachtsshow der Superstars“ im Rabenhof-Theater Comedy-Erfahrungen sammeln können. Der Anfang der eigenen Bühnenkarriere war hart: „Bei den ersten Vorstellungen hatte ich fast mehr Privatsphäre als zu Hause.“
Inzwischen kann er aber doch ein Wachstum bei seinem Publikum ausmachen, seine Radiopräsenz ist da sicher hilfreich. In dem „Kabarettprogramm für Leute, die Kabarett eigentlich nicht mögen“ schlüpft Ratschiller in die zentralen Rollen seines Lebens – es geht um einen jungen Menschen, der zwischen Selbstüberschätzung und dem Bewusstsein der eigenen Chancenlosigkeit pendelt. Sturm und Drang für die Generation Praktikum sozusagen. Was er von der Bühne aus neben dem beiderseitigen Vergnügen noch erreichen möchte, ist sein überwiegend junges Publikum nicht nur zum Denken, sondern auch zum Handeln anzuregen.
So war die Audimax-Besetzung für Ratschiller selbst ein motivierender Anstoß: „Die Proteste bewiesen, dass junge Menschen in Österreich noch andere Sachen können als in Verliesen ausharren und rechtsradikale Parteien wählen. Ich halte die Frage nach der unmittelbaren Realisierbarkeit konkreter Forderungen nicht für die entscheidende. Viel wichtiger ist, dass den Leuten rund um das Audimax gelungen ist, einen Raum für respektvoll geführte, selbstbewusste Diskussionen der Begriffe ‚Bildung‘, ‚Demokratie‘ und ‚Freiheit‘ zu schaffen, der vorher nicht da war. Für ein paar Momente hat Bürger sein nicht nur geheißen, dass man Banken sanieren helfen muss und mehr und mehr Rechenschaft über seinen Lebenswandel ablegen. Das war eine unglaubliche Leistung. Mir hat die Zeit der Unibesetzungen das Gefühl gegeben, ich lebe in einer Demokratie. Wirklich bestürzend fand ich, wie wenig auch selbsternannte ‚Qualitätsmedien‘ und bisher als zurechnungsfähig eingestufte öffentliche Personen zu den Diskussionen rund um die Proteste beizutragen hatten. Vielerorts hat man einfach behauptet, man würde das Thema locker überblicken und es abgeschlachtet wie die neue Frisur des Bundeskanzlers.“
Der Auftakt der neuen Satiresendung „Welt Ahoi!" jedenfalls löste im gleichen Österreich eine Flut an Reaktionen und medialem Echo aus: 20 Minuten nach Ausstrahlungsende war der Server von Ö1 lahmgelegt, bis um 21.18 Uhr konnten keine neue Nachrichten mehr empfangen werden, teilte der Sender am nächsten Tag mit. Mitverantwortlich: Hosea Ratschiller. Wenn das kein gutes Omen für die Zukunft ist …
„Welt Ahoi!“ (jeden Sonntag auf Ö1, 9.30 bis 9.55 Uhr)
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„FM4-Ombudsmann“ (FM4 Morning Show; Mo. – Fr., 6.00 bis 10.00 Uhr)
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