Bretter, die die Welt bedeuten – »Turtle 3« und die rollende Vermessung der Stadt

Der dritte Kurzfilm aus der »Turtle«-Reihe ist eine kompakte zeitgenössische Dokumentation des Wiener Stadtgeschehens in Analogästhetik. Er zeigt viel mehr als nur ein paar Tricks auf vier Rollen. »Turtle 3« ist im Rahmen der Diagonale in Graz zu sehen.

© Simon Trummer — Skateboarding ist für Lucas Jankoschek weder Sport noch Kunst, sondern vor allem Freiheit.

»Dass der Film bei der Diagonale laufen würde, hätte ich niemals geglaubt, bevor plötzlich die Zusage im Posteingang war.« Obwohl Lucas »Turtle« Jankoschek und seine Crew rund zwei Jahre in »Turtle 3«, den neuesten Film der umtriebigen Wiener Skatefilmproduktion Turtle Productions, investiert haben, bleibt der kreative Kopf dahinter bescheiden. Jankoschek skatet seit über 15 Jahren – erst in Eisenstadt, nach dem Umzug nach Wien begann er dann regelmäßig Clips zu filmen und zu veröffentlichen. »Auf dem Brett habe ich einen Teil meiner Erziehung genossen. Wenn es auch nur so kleine Dinge waren, wie seinen Müll wegzubringen, bevor man einen Ort wieder verlässt, oder Leuten mit Respekt gegenüberzutreten.«

Rund zehn Stunden verbringt er jede Woche auf den vier Rollen. Skateboarding ist für ihn weder klar als Sport noch als Kunst zu verstehen, sondern: »Freiheit! Es gibt überhaupt keine Regeln. In welche Richtung man auch gehen will, alles ist beim Skaten möglich. Man muss nicht mal selbst fahren, um sich etwa als Filmer kreativ am Geschehen zu beteiligen.« Dem stimmt auch Florian Seyser-Trenk, bekannt als Mastermind von Euroteuro, zu. Er kuratierte und produzierte die Musik für »Turtle 3«: »Für mich ist es Kunst mit Workout. Wie ein Livekonzert auch ein bisschen, nur noch ein großes Stück freier in Form und Ausdruck.«

Lucas »Turtle« Jankoschek: »Wir scheren uns mehr um unsere Spots als manche Leute, die die Plätze regulär verwenden.« (Foto: Roland Hoogwater)

Diese Freiheiten drücken sich vor allem in den kreativen DIY-Aspekten aus. Der Film hat etwas Handgemachtes. Die Musik kommt aus dem eng mit der Skateboardszene verbandelten Underground, die animierten Zeichnungen stammen aus der Feder von Jankoscheks Zwillingsbruder und es wird – durch ein paar Eingriffe in das Design der Stadt – skatebar gemacht, was gefällt. Die breiten, kreativen Möglichkeiten rund um das Rollbrett erklärt sich Seyser-Trenk so: »Womöglich liegt das daran, dass es eine sehr ästhetische Sportart bzw. Kunstform ist. Das kann dann eben viele Bereiche umfassen.«

Der Anspruch sei vor allem gewesen, auch Leute zu flashen, die selbst skaten und daher noch besser wüssten, was dahintersteckt. Doch die neu gefundene Öffentlichkeit außerhalb der Bubble freut die Crew ebenfalls. Die Hoffnung ist, vor allem bei den ablehnenden Teilen der Gesellschaft auf Verständnis zu stoßen, die derzeit für die Sache ein größeres Hindernis sind als so manche bauliche Maßnahme.

Akzeptanz des Mainstreams

Stilecht zeigt »Turtle 3« in den kompakten 30 Minuten nicht nur bloßes Skateboarding. Das wäre selbst Jankoschek zu fad. Szenen des Wiener Alltagslebens spicken die insgesamt zehn Parts der gut 20 Skatenden. Draufgehalten wird überall: Ein speibender Hund findet dabei genauso seinen Platz wie ein interessierter Anzugträger und Personen, die lauthals aus dem Auto schimpfen. »Auf der Straße und im nicht dafür vorgesehenen öffentlichen Raum zu skaten, ist schon eine Grauzone. Am Ende kommt es dennoch drauf an, wie wir gebeten werden zu gehen.« Viele Plätze muss die Turtle-Crew früher oder später ungewollt verlassen. Sofern man ihnen dabei auf Augenhöhe und mit Respekt begegne, würden sie die Location in der Regel zügig räumen. Angeschrien zu werden, verzögere das Abziehen um drei, vier Versuche, schmunzelt Jankoschek.

Der Film soll Leute flashen, die selbst skaten und wissen, was dahintersteckt. (Foto: Simon Trummer)

Nach wie vor gäbe es grobe Missverständnisse über ihre Betätigung: »Manche Leute leben noch immer mit der Vorstellung, dass alles so steril und sauber wie möglich sein muss. In unserer Philosophie ist der öffentliche Raum ein Ort, der benutzt werden soll, und dabei entstehen eben Abnutzungsspuren. Es wirkt dann so, als ob wir alles beschädigen, wo wir auftauchen. Dabei scheren wir uns an den meisten Stellen um unsere Spots mehr als manche Leute, die die Plätze regulär verwenden.« Durch das Screening im Kino erhofft er sich dahingehend Aufklärung und Diskurs, aber: »Zu Mainstream brauch ich es auch nicht haben. Im Fernsehen muss Skateboarding nicht unbedingt ankommen.« Und auch die eine oder andere Beschädigung räumt er lachend ein, etwa angesprochen auf die zerlegte Baumstütze nach einem Sturz: »Da war ich nicht dabei und ich weiß nicht, ob es wieder repariert werden konnte. Aber gut, manchmal passieren blöde Sachen. Mutwillig zerstören wir jedenfalls nichts.«

Lobby für Skatende

Jankoschek meint, dass man in diesen Umgang mit Normen und dem öffentlichen Raum leicht politische Ansprüche hineininterpretieren könne, für ihn und seine Crew sei das allerdings nicht vorrangig. Dafür gebe es den Skateboard Club Vienna, quasi die rollende Lobby im Dialog mit der Stadt. Der Club besteht seit Frühjahr 2021 – von Skatenden für Skatende – und es brauche ihn dringend. Denn beschämenderweise habe Wien als Hauptstadt keine Skatehalle. Die sei aber unerlässlich, auch wenn in den Videos nie dezidierte Skateanlagen zu sehen sind: »Skateparks sind unsere Trainingsstätten, sie in den Videos nicht zu zeigen ist eine Art Szenecode. Wir üben dort unsere Tricks, um sie schlussendlich auf der Straße zu vollführen und zu filmen. Im Winter sind wir mit Handschuhen und fünf Schichten in Garagen am Herumskaten. Ich treffe viele Freunde dabei. Für mich gibt es die Option nicht, über den Winter aufzuhören.«

Beschädigungen passieren – bei Menschen wie Dingen. Aber nie mutwillig. (Foto: Simon Trummer)

Einen Verein als Überbau zu haben, stärke die Kommunikation untereinander – es wird für Nachwuchs gesorgt und verschiedene Crews finden eine Anlaufstelle. Denn auf der Straße passiert die Vermischung nicht so leicht. Auf die sehr ausgeglichene Genderbalance in »Turtle 3« angesprochen, meint er, dass er die Leute in seinen Videos nicht kuratiere, sondern dass das die Menschen seien, die ihm am nächsten stünden, denen er in puncto Kreativität und Umgang vertrauen könne.

Die öffentlichkeitswirksamsten Darstellungen von Skateboarding bleiben nach wie vor männlich dominiert, wobei es auch in Wien immer mehr Crews gibt, die sich dezidiert in Spaces von FLINTA* und queeren Personen bilden. Erste wichtige Schritte werden getan, eine stärkere Durchmischung fände Jankoschek wünschenswert: »Bei uns sind alle willkommen, ich verstehe aber auch, dass es schwer sein kann, sich an einen quasi fertigen Freundeskreis anzuschließen.«

Im Rahmen der Diagonale ’23 wird »Turtle 3« zweimal als Teil der Kurzfilmschiene »Innovatives Kino« in Graz gezeigt: am 23. März um 23 Uhr im Schubertkino 1 und am 25. März um 17:30 Uhr im Schubertkino 2. Clips von Turtle Productions finden sich auf dem gleichnamigen Youtube-Kanal. Den Soundtrack zum Film findet man unter bigcakerecords.bandcamp.com.

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