Neoliberaler Habitus in der Clubkultur

Die DJ-Szene ist von einem neoliberalen Habitus durchdrungen, der einen Blick auf strukturelle Ungleichheiten verhindert und zur Aufrechterhaltung des Status quo beiträgt, meint Rosa Reitsamer im Interview. Die Soziologin hat sich in einem Buch intensiv mit den Ungleichheiten an den Reglern auseinandergesetzt.

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Dr. Rosa Reitsamer ist Soziologin am Institut für Musiksoziologie an der Universität für Musik und darstellenden Kunst Wien. Sie sagt, dass die soziale Geschlechterungleichheit in der elektronischen Musik sicher nicht am mangelnden Können von Frauen, ihrer fehlenden fachlichen Kompetenz oder ihrem zu geringen technischen Wissen liegt.

Was können ihrer Meinung nach Plattformen, Labels, Kollektive wie Female Pressure, Quote Vienna und Comfortzone leisten? Wo liegen ihre Grenzen?

Ich frage weniger nach den Grenzen dieser Netzwerke als nach ihren Potenzialen. Und ihre Potenziale sind vielfältig, u. a. ermöglichen die Netzwerke den Austausch von Wissen und Erfahrungen; Nachwuchsmusikerinnen erhalten über diese Netzwerke Einladungen zu Auftritten, zur Veröffentlichung von Tonträgern, zu Kooperationen und dgl.; Frauen können einander über diese Netzwerke unterstützen, weil sie häufig von männlich dominierten Netzwerken in der elektronischen Musik ausgeschlossen werden. Teil eines feministischen Netzwerks zu sein, bedeutet aber auch, Spaß zu haben und Projekte zu realisieren – wie etwa das Perspectives Festival in Berlin.

Das Problem dieser Netzwerke ist, dass sie von männlichen Peers in elektronischen Musikszenen nicht ernst genommen werden. Sowohl die DJ-Frauen, die sich für diese Netzwerke engagieren, als auch die Netzwerke selbst werden abgewertet und manchmal sogar ausgelacht.

Wo konkret liegt ihrer Meinung nach das Problem, dass die elektronische Musikszene nach wie vor von Männern dominiert wird?

Es ist erschreckend, wie oft Musikerinnen sich Sätze wie die folgenden anhören müssen: „Für eine Frau bist du eh gut.“ Oder: „Wenn eine Frau Erfolg haben will, dann wird sie es auch schaffen, aber sie ist eben nicht ehrgeizig genug.“ Oder: „Gehören die Platten dir oder deinem Freund?“

Ein weiteres Problem, das aber nicht nur die Netzwerke betrifft, sondern Musikerinnen in elektronischen Szenen im Allgemeinen ist, dass diese Kultur – vor allem im Mainstream-Bereich – von einem neoliberalen Habitus durchdrungen ist, der einen Blick auf strukturelle Ungleichheiten verhindert. Elektronische Musikszenen sind über informell organisierte Netzwerke organisiert und das gerät Frauen häufig zum Nachteil, weil diese Netzwerke von (jungen) Männern dominiert werden, die die Einladungspolitiken zu Clubnächten und Festivals nicht reflektieren. Es sei „eine Frage der Qualität“ wird häufig von den Organisatoren und Clubhosts gesagt, aber wer legt diese „Qualität von musikalischem Können“, von „Cutting Edge“, fest?

Zudem – und das ist der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte – zeichnet sich in diesen Szenen die „rhetorische Modernisierung des Geschlechterverhältnisses“ (Angelika Wetterer) deutlich ab, indem sowohl (junge) Männer als auch (junge) Frauen glauben, dass sie bereits gleichberechtigt seien und feministische Politik nicht länger benötigen würden. Ich beschreibe diese Haltung als einen neoliberalen postfeministischen Habitus, der zur Aufrechterhaltung des Status quo beiträgt und (junge) Frauen in eine äußerst prekäre Situation bringt.

Wie wichtig ist es im universitären Bereich Raum für Genderfragen in den verschiedenen Bereichen – konkret auch im Musikbereich – zu schaffen, um dorthin auch diverse Künstlerinnen einzuladen?

Geschlechtsspezifische Themen in Lehrveranstaltungen zu behandeln, die sich mit Musik beschäftigen, sei es Musiksoziologie, Musikwissenschaften, Musikpädagogik etc., ist grundsätzlich sehr wichtig, weil die Thematisierung des Geschlechterverhältnisses die Studierenden sensibilisiert und auf ihre berufliche Laufbahn vorbereitet. Die Studierenden lernen, dass Rückschläge im Werdegang nicht zwangsläufig auf ihr mangelndes Können zurückzuführen sind, sondern auf andere Faktoren – und einer dieser Faktoren ist das Geschlechterverhältnis.

Die Zahl der Instrumentalistinnen in renommierten Orchestern ist nach wie vor sehr gering und die Unterrepräsentation von DJ-Frauen und Musikproduzentinnen bei international renommierten Festivals ist erschreckend und deprimierend gleichermaßen – wie eine Aufstellung von Female Pressure zeigt. Diese soziale Geschlechterungleichheit liegt nicht am mangelnden Können von Frauen, ihrer fehlenden fachlichen Kompetenz oder ihrem zu geringen technischen Wissen. Musikerinnen sind heute sehr gut ausgebildet und sie haben mindestens so viel „Talent“ und „Begabung“ wie ihre männlichen Kollegen. Die Ursachen für die Geschlechterungleichheiten liegen also nicht bei den Frauen.

Denken Sie, dass das Genderthema ein Frauenthema ist?

Nein. Geschlechterverhältnisse werden in unserer Gesellschaft nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern produziert. Die Auseinandersetzung mit Themen der sozialen Ungleichheit, die auf Geschlecht, Klasse oder ethnischen Hintergrund zurückzuführen sind, ist folglich für Männer und Frauen wichtig und notwendig, weil feministische, queere und antirassistische Politiken sozialen Wandel verfolgen, der Ungleichheiten abbaut. In diese emanzipatorischen Politiken sollten sich Frauen und Männer gleichermaßen einbringen.

„Die Do-It-Yourself-Karrieren der DJs – Über die Arbeit in elektronischen Musikszenen“ von Rosa Reitsamer ist bereits bei Transcript erschienen.

Von Donnerstag, 10. Oktober, bis Samstag, 12. Oktober, findet außerdem eine Konferenz unter dem Titel „Music, Gender & Difference – Intersectional And Postcolonial Perspectives On Musical Fields“ an der Universität für Musik und darstellende Kunst statt:

Weitere Interviews mit Clara Moto, DJ Ravissa, Rosa Reitsamer, Anette O und p.K.one zum Thema „Geschlechtergefälle hinter den Reglern elektronischer Musik“ gibt es hier.

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