Blur vermeiden geschickt den Eindruck ihre Reunion nur wegen des Geldes gemacht zu haben. Neuen "Song 2" gibts natürlich nicht.
Virales Marketing. So nennt man im Fachjargon das pointierte Streuen von Gerüchten, die von Social Media nur so aufgesaugt werden, um dann einen wahren medialen Erdrutsch loszutreten. Nichts anderes haben Blur heuer veranstaltet, als sie schon früh ein neues Album angekündigt haben. In Originalbesetzung, nach 16 Jahren. Na, wenn sich da dem Britpopliebhaber nicht vor Freude die Haare im Nacken aufstellen.
Damon Albarn und Konsorten wissen natürlich ganz genau, wie man ein Comeback nicht nur startet, sondern es auch gekonnt inszeniert. Jetzt haben wir, nach langem Hin und Her, die neue Platte auch endlich in Händen. Spoileralarm: So ganz Britpop ist das nicht. Ganz ohne geht’s aber offenbar auch nie.
War es für Britpop.
Die Frage steht im Raum, ob es sich um ein Britpop-Revival handelt oder ob einfach eine Band, die in den 90ern das Aushängeschild für dieses Genre war, ein neues Album veröffentlicht. Der Gitarrenpop mit hedonistischer Middleclass-Attitüde, den Blur seinerzeit veröffentlicht haben, liegt jedenfalls in der Vergangenheit. So britisch wie auf „Parklife“ werden Blur nie wieder klingen. Dafür hat Damon Albarn zu viele andere Gefilde abgegrast: Sein Hip Hop-Projekt Gorillaz bezieht sich nicht umsonst mit Tracks wie „Dirty Harry“ direkt auf Clint Eastwood, sowie auch sein anderes Nebenprojekt The Good, the Bad and the Queen eine Referenz auf Eastwoods „The Good, the Bad and the Ugly“ darstellt. Wenn also der Western DIE Abbildung der amerikanischen Seele ist, dann ist Clint Eastwood die Gallionsfigur. Damon Albarn zollt somit dem amerikanischsten Amerikaner überhaupt immer wieder Tribut – und das, obwohl er mit „Song 2“, Blurs größtem Hit überhaupt, damals noch eine Parodie auf den amerikanisch-musikalischen Intimfeind des Britpop, den Grunge, geschrieben hat.
In Amerika ist er aber schließlich nicht hängen geblieben: Albarn arbeitete nicht nur mit afrikanischer Musik, sondern schreib sogar die Musik zu einer chinesischen Oper. Aus dem ach so britischen, nörgelnden Rockstar ist ein Globetrotter geworden.
War es das Geld.
Wieso aber eigentlich ein Comeback? Es ist doch auch für alle Blur-Mitglieder solo ganz gut gelaufen. Drummer Dave Rowntree hat sich ins bürgerliche Leben als Rechtsanwalt zurückgezogen, ebenso wie Bassist Alex James die meiste Zeit einfach auf seinem Landgut verbracht hat. Musikalisch haben uns vor allem Graham Coxon – auf sehr experimentelle Weise – und wie schon erwähnt Damon Albarn unterhalten.
Seite heute also steht das neue Album, „The Magic Whip“ in den Regalen des Internet. Auch wenn dem Wort „Reunion“ oder gar „Comeback“ doch immer wieder ein etwas schaler Geschmack anhaftet, muss man sagen: Chapeau. Jedoch, bitter ins Kopfkissen weinen wird der Blur-Hymnenliebhaber. Gitarre, Gitarre, Gitarre – eine verschrobener als die andere – und ein bisschen gelangweilter Gesang von Damon Albarn obenauf. Frei nach dem Motto: Gebt dem Pöbel Zucker. Wieso jetzt auch ein schön-vorhersehbares, anschmiegsames Comeback starten. Die kapitalistische Antwort? For the money und not so much for the love. Aber weit gefehlt. Damon Albarn und Konsorten trauen sich (zum Beispiel oder vor allem schon mit der Vorab-Single „Go Out“) etwas, wofür man seinen Mut schon erst einmal zusammennehmen muss. Nämlich schlichtweg keine Hymne aus dem Hut zu zaubern. Sie setzen uns eine Single vor, die so gar nicht geradlinig ist. Eher uneingängig, dreckig, eigentlich so übellaunig und rotzig dahingeworfen, man könnte meinen, sie wollen das Publikum ein bisschen auf den Arm nehmen.
Eh kein Gulasch
Blur klingen also nicht mehr so sehr nach Britpop, wie man es sich als Fangirls and boys vielleicht wünschen würde. Aber die Harmonik und Dynamik, die sie nach 16 getrennten Jahren wieder zusammenschweißt, sucht ihresgleichen. Der alte Blur-Sound, der hauptsächlich Graham Coxons Riffs und Albarns näselnder Stimme, die sich ihre Anleihen bei Bowie, Lennon und Co sucht, geschuldet ist, springt sofort ins Ohr. Schon allein deshalb muss man in die Hände klatschen. Holpernd geht es dahin, das Schlagzeug, nur der Bass scheint alle ein bisschen zusammenzuhalten, diese 12 wunderbar produzierten Stücke, denen Stephen Street dann immer noch den letzten Schliff verleiht. Es ist kein Whoo-hoo-Stück dabei, auch kein romantisch-schönes Geigengezupfe von „The Universal“ und schon gar keine kitschig-schweren Chorgesänge in guter alter "Tender"-Manier. Macht aber eigentlich nichts. Aufgewärmt ist doch nur Gulasch gut, richtig?
Blur, Oasis, Pulp
Man kann hier aber die gern gestellte Frage aufwärmen: Is Britpop back? Oasis steht kurz vor der Reunion. Pulp arbeiten zumindest die eigene Geschichte in Dokus auf. Die Selbstbezogenheit des Inselsounds der 90er Jahre haben Blur gekonnt von ihrem Radar gestrichen – Hongkong hat sich nicht nur in die vorab veröffentlichten Videos inklusive obskurer Tanzeinlagen eingeschlichen, sondern auch die Bandphilosophie sowie die Lyrics in eine andere Richtung getrieben.
Anstatt die Vorstadtprobleme in sinnigen Bildern zu behandeln und in erster Linie über das eigene Dasein zu sinnieren, greift Albarn nun über auf die Frage nach der Einsamkeit im Getümmel der Masse, die überbordende Konsumwelt, gar die Apokalypse. Sarkastischerweise nutzt die Band ihr Wissen um die Schnelllebigkeit eines Internethypes, den sie um ihr Album herum aufgezogen haben. Ist der eine heute da und noch so groß – er läuft Gefahr, vom nächsten überrannt zu werden. Doch auch wenn Blur demnach eigentlich mehr ein Konzeptalbum hinauspfeffern, das diese neuartigen, ja wohl gesellschaftskritischen Punkte, besingt, liegt genau darin die Kraft des Albums. Im Bewusstsein des – pathetisch gesagt – Vergänglichen der heutigen Musikkultur.
Der Name macht Programm: „The Magic Whip“. Eine wahre Zaubertüte.
"The Magic Whip" von Blur ist soeben via Warner erschienen.