Liebeslieder und die unerträgliche Langeweile beim Zähneputzen: »Dasselbe Lied« von Neuschnee in einer exklusiven Videopremiere.
Dasselbe ist nicht das Gleiche. Und auch wenn sich »Dasselbe Lied« von Neuschnee und »Menschen Leben Tanzen Welt« von Jim Pandzko feat. Jan Böhmermann oberflächlich gleichen: Beides sind Lieder über die hohlen Formen und Formeln des großen Pop-Getues, bauen auf sprachlichen Klischees und Gefühlsduselei – mit Demselben haben wir es aber keinen Takt zu tun.
Schließlich ist »Dasselbe Lied« keine Karikatur, kein Klamauk, sondern bleibt trotz der aufgeblasenen Opulenz der Streicher eine spielerische Auseinandersetzung. Wirklich schwarz-weiß ist dabei nur das Video ausgefallen. Und während Böhmermanns 4-Wort-Monstrum selbst funktioniert wie das Beanstandete – mit auf den schnellen Peak, Viralität und Schenkelklopfen hin angelegtem Zynismus Beifall hascht und schnell nervt, hadern Neuschnee tatsächlich mit der Langweile des durchkommerzialisierten Copy/Paste-Lebens.
Natürlich ist das selbst auch Klischee, keine Frage. Aber genau darum geht es wohl auch, wenn Mastermind Hans Wagner (bekannt u. a. auch als Gründungsmitglied der wunderbaren Band Das Trojanische Pferd) für YouTube seinen Schädel in die Kopiermaschine presst. Auch mit seinem Zähneputzen – vielleicht der Inbegriff monotoner, unbewusster Alltagslangeweile überhaupt – tut er sich Gewalt an.
Unvermeidbare Gleichförmigkeit
Nicht das Kunstwerk im Zeitalter der Reproduzierbarkeit, sondern das Individuelle im Zeitalter der unvermeidbaren Gleichförmigkeit ist hier Thema. Auch wenn sich kein Mensch mehr die Blöße geben mag, von Zeitaltern zu sprechen, dergleichen auch nur anzudeuten. Davor allerdings haben Neuschnee – wie die großen Brüder im Geiste, die unverwüstlichen Erdmöbel – keine Angst.
»Dasselbe Lied« stammt vom vierten, zu Jahresanfang 2018 bei Problembär Records erschienenen Neuschnee-Album »Okay«. In 30 Minuten und sieben Tracks zeigt sich der gebürtige Berliner Hans Wagner darauf als der gegenwärtig neben Hubert Weinheimer (Das Trojanische Pferd) vielleicht vielseitigste Songwriter und Arrangeur im Wiener Pop-Biotop.