Covid-19 als »bizarrer Moment in einer langen Geschichte« – Viennale-Festivalleiterin Eva Sangiorgi im Interview

Trotz Corona darf die Viennale heuer von 22. Oktober bis 1. November in physischer Form stattfinden. Eine Herausforderung für Organisation sowie Programm – und natürlich für Festivaldirektorin Eva Sangiorgi, wie sie im ausführlichen Interview mit The Gap erzählt.

Der Publikationsreihe »Textur« ist heuer der amerikanischen Regisseurin Kelly Reichhardt gewidmet. Ihr Film »First Cow« war nach der Premiere bei der Berlinale bis zum Filmfestival in Venedig einer der wenigen großen Filme, die gezeigt wurden. Hatte das einen Einfluss auf Ihre Entscheidung für Reichhardt als Sujet oder hatten Sie sie schon länger auf dem Radar?

Sie ist schon eine ganze Weile auf meinem Radar. Begonnen hat das mit der ersten Ausgabe des Festivals FICUNAM (Festival Internacional de Cine de la Universidad Nacional Autónoma de México; Anm. d. Red.). Dort eröffneten wir mit Kellys Film »Meek’s Cutoff«. Sie kam zu uns und gab einen wunderbaren Workshop. Dann habe ich heuer in Berlin den Film »First Cow« gesehen und so hat sich das schließlich ergeben. Als ich sie zur Viennale einlud und mit ihr über »Textur« redete, hat sie sofort Ja gesagt. Idealerweise wäre sie auch vor Ort in Wien, aber sie ist in den USA. Ich glaube das wird also nicht möglich sein.

Sie bringen auch eine Monografie zum Werk von Christoph Schlingensief heraus, dessen zehnter Todestag sich heuer jährt.

Einerseits jährt sich sein Todestag, andererseits wäre er heuer auch 60 Jahre alt geworden. Es gab den Vorschlag, eine Kollaboration mit Claus Philipp zu organisieren, der Schlingensief sehr nahe gestanden ist. In anderen deutschsprachigen Regionen ist auch einiges passiert, zum Beispiel hat Bettina Böhler ihren Dokumentarfilm über Schlingensief veröffentlicht. Unsere Idee war es, ein kleines Programm zu organisieren. Es gab in seiner Biografie den Bezug zu Wien und dessen Theater. Ich habe begonnen, mit Claus einige der Filme zu sichten. Im Juni waren wir dann in Berlin und haben dort auch kaum veröffentlichtes Material gesehen. So ist das Ganze graduell größer geworden.

© Viennale

Ein weiterer großer Programmpunkt ist »Recycled Cinema«. Sie bezeichnen es in der Ankündigung als demokratische Filmform, die jedem zugänglich ist und Filmmaterial auf eine neue Art und Weise interpretiert. Das ist auch etwas, das wir als digitale Generation mit unseren Handys und auf Social Media machen. Hoffen Sie mit der Schiene daher, ein junges Publikum zu erreichen?

Das wäre großartig, weil das eine filmische Tradition ist, die momentan wiederbelebt wird. Die Auswahl, die wir getroffen haben, ist nur eine Annäherung, sie reicht von Familienfilmen über Politisches bis hin zu Collagen. Aber für junge FilmemacherInnen ist es ein guter Weg, ihre Filme umzusetzen. Wir selbst sind mit diesen visuellen Bildern ebenfalls vertraut, wir produzieren sie ständig und stellen sie in unsere sozialen Netzwerke. Ich hoffe, dass das Programm die junge Generation sogar noch mehr anspricht als meine eigene.

Eine der dominanten Diskussionen seit dem Lockdown war die Frage »Online-Festival oder nicht?«. Die Argumente dafür waren, dass man das Festivalprogramm so mehr Menschen zugänglich machen könnte. Befürchtungen waren wiederum, dass die menschliche Komponente fehlen und man aus Bequemlichkeit zu eurozentrisch werden könnte. Welchen Weg wird die Viennale in Zukunft einschlagen?

Solange ich hier bin, werden wir nicht zu einem Online-Festival. Es gibt Plattformen, die Streaming anbieten. Manche machen das besser, manche schlechter. Ich bin daran aber nicht interessiert. Es ist für manche Bedürfnisse und Situationen angemessen, aber die Viennale ist kein Festival, auf das das zutrifft. Wir haben uns dem sozialen Aspekt der Filmkultur verschrieben, der Leute in den Kinos zusammenbringt. Es geht nicht nur darum, den neuesten Film zu sehen und auf dem jüngsten Stand der Szene zu sein. Ich habe von Anfang an klargestellt, dass ich hier keine Formate vermischen möchte, weil ich nicht glaube, dass ich für diese Aufgabe berufen worden bin. Aber ich werfe jenen, die sich andere Optionen erschlossen haben, nichts vor. Manchmal kann es ein Projekt retten und einen Film in Umlauf bringen, der das sonst nicht geschafft hätte.

Was erhoffen Sie sich für die diesjährige Viennale?

Dass wir alle gesund bleiben und dass es ein schönes Event wird. Es ist wunderbar, wieder beisammen sein zu können. Vor allem, da nun wieder kulturelle Aktivitäten stattfinden, wie etwa auch die Wiener Festwochen oder Impulstanz. Es ist sehr wichtig, diese cineastischen Erfahrungen gemeinsam erleben zu können. Das erweckt das Kino erst zum Leben. Daran sollte sich nichts ändern. Ich hoffe daher, dass wir alle weiterhin gemeinsam im Kino sitzen und Covid-19 bald nur noch dieser bizarre Moment in einer langen Geschichte sein wird.

Die Viennale findet 2020 von 22. Oktober bis 1. November statt. Hier findet ihr alle Infos zum Festival und den jeweils aktuellen Stand bezüglich Corona-Maßnahmen.

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