Richard Schuberth ist künstlerischer Leiter des Festivals "Balkan Fever Feminin". The Gap hat ihn per Mail getroffen und hat sich einige Klarstellungen eingefangen.
Warum braucht es auch 2010 noch einen Fokus auf Musikerinnen? Ist der Balkan in dieser Hinsicht ein Sonderfall?
Wir schützen nicht Musikerinnen per Affirmative Action vor dem bösen Balkan-Machismo. Das wäre ja wieder Paternalismus. Vielmehr wollten wir nach sechs Jahren zur Abwechslung Schwerpunkte setzen, und da bei Balkan Fever der Frauenanteil immer schon hoch war, haben wir uns gedacht: Lassen wir die Männer doch überhaupt ein Jahr pausieren. Das Programm gewinnt dadurch. Virile Trompeten-Protzerei weicht subtilerer Ekstase. Balkan Fever wird ladylike, das heißt eleganter, erotischer, cooler, mondäner. Vielleicht gibt es ja nächstes Jahr Balkan Fever queer.
Als Nicht-EU-Bürger gelten für viele der auftretenden Musikerinnen deutlich strengere Arbeits- und Aufenthaltsbestimmungen. Was sind die größten Hürden für transnationalen Kulturaustausch?
Die größte Hürde ist die Nation selbst. Aber von diesen Grenzen lassen wir uns nicht einschüchtern. Die demütigenden Visabestimmungen, die auf Kosten der Antragsteller verschärft und bürokratisiert wurden, weil kriminelle Botschaftsangestellte sich eine goldene Nase damit verdient haben, sind zumindest für Serbien, Mazedonien und Montenegro gefallen, was unsere Arbeit erleichtert. Zum Schluss haben die Botschaften die Termine durch eine zentrale Firma abwickeln lassen, die pro Telefonminute für die Terminvergabe abcashte und diese Termine nur an Kreditkartenbesitzer vergab. Eine menschenverachtende Schikane! Und dann gibt es die berüchtigte Ausländersteuer. Die Maßnahme des österreichischen Staats, an den Gagen ausländischer Künstler mitzuverdienen. Offizielle Begründung: Zuhause würden sie dieses Geld bestimmt nicht versteuern. Das klingt so, als klopfte Österreich – sagen wir – Bulgarien auf die Schulter und sagt: „Du Bulgarien, wenn du den Künstler nicht ausplünderst, tu ich es – aber irgendwer von uns beiden muss es tun.“
Musik vom Balkan hängt ein leicht akademisch Geruch von World Music nach, die Szene gilt mitunter als hermetisch. Wie versucht „Balkan Fever" die Bildungsbürger-Nische zu überwinden?
Zunächst: Es existiert keine Balkan-Szene. Der Blick auf unsere Website bestätigt das jedes Jahr aufs Neue. Hermetisch ist da auch nichts. Es mag so wirken, weil die zwei Prozent Oontza-Oontza-Kalashnikoff-Beat und „Disko Partizani“-Pop, die Musik mit SO-Europa-Bezug ausmachen, die öffentliche Wahrnehmung hegemonialisieren und andere interessante Sachen ins „Insider-Eck“ abdrängen. Soziologische Tatsache ist, die plain majority steht auf Mainstream-Pop (ob ethno oder nicht) oder auf Mainstream-Underground. Mit zunehmenden Alter und Bildungsgrad nimmt das Interesse an allem jenseits davon zu, besonders wenn es sich in kulturelle Traditionen einklinkt (das kann, muss aber nicht reaktionär sein). Wir hatten und haben bei Balkan Fever stets auch Punk, Elektronik und nicht ethnisch beeinflussten Jazz. Die vielen musikalischen Traditionen des Südostens sind aber zu einem guten Teil melodisch und rhythmisch hochinteressant, groovy, schräg, auch anspruchsvoll. Klar dass man das weder der Folklore noch dem ewig gleichen Ska-Bogo-Gehopse überlassen darf. Unsere Aufgabe sehe ich eher darin, einer Verpoppung der Szene entgegenzuwirken. Aber wir machen kein Festival für World-Music- und nickende Jazzintellektuelle. Jedes Konzert ist anders und zieht auch ein anderes Publikum an. Unser Publikum ist im Schnitt sehr jung.
Unter Schlagwörtern wie „Gypsy Punk" und „Balkan Disco" sorgten bestimmte Musikidiome vom Balkan für viel mediales Echo. Waren diese Popularisierungen eher problematische Verkürzungen oder willkommene Aufmerksamkeitsspender?
Okay. Der Tirade zweiter Teil. Als Einstiegsdroge taugen die besseren dieser Produkte (wie Balkan Beat Box oder Kultur Shock) sicher. Aber wie gesagt, dahinter verbirgt sich zumeist seichter Pop (Shantel) oder infantiler Spaßkultur-Punk. Muss auch sein, keine Frage. Die wenigsten der Produkte aber, die sich mit dem „Label“ Balkan vermarkten, haben was mit Balkan zu tun, bestenfalls mit einer vagen, mehrfach gefilterten Vorstellung davon. Das ist so, als ob Musiker aus dem Buena Vista Social Club beim Internationalen Son-Festival in St. Öd als Vorgruppe der „St. Öd Amigos“ spielen müssen, weil deren Son einzig der Wahrnehmung der St. Öder von kubanischer Musik entspricht. Peter Alexanders Revuemusik aus den 50er Jahren hat sich auch als Jazz verstanden. „Balkan Disco“ verwendet oft klezmerartige Einschübe, aber es bleibt hymnisch und polkaesk. In der öffentlichen Wahrnehmung der Partyhüpfer wird alles, was östlich ist, als gleich oder ähnlich empfunden. Das erinnert ein bisschen an die Mohrenkostüme von Faschingspartys. Hier geht es keinesfalls um den Unterschied Purismus – Eklektizismus. Ganz im Gegenteil! Aber es ist ein Unterschied, ob Miriam Makeba oder der katholische Frauenchor Waidhofen „Wimoweh“ singen. Nicht nur dass dieser Partypop nichts mit Balkan zu tun hat (dort gibt es so viel brillante Musik, die das Kunststück fertig bringt, Tradition mit Moderne, Anspruch mit Ekstase zu vermählen, z.B. Ivo Papasov), nicht nur dass die Polyphonie der künstlerischen Ausdrucksarten durch einen marktgängigen Stil verdrängt wird, hinzu kommt noch Folgendes: Die „Ostalgiker“ kommen sich als antirechts und subkulturell vor, wenn sie einer imaginierten Kultur frönen, von der sie glauben, dass die FPÖ sie blöd findet. Aber Strache umwirbt auch nationalistische Serben und reißt Türkenmädels auf, alle essen sie Kebab und weinen vermutlich bei Zigeunermusik. So what? In Wirklichkeit werden hier unterschwellig rassistische Klischees hinter fortschrittlicher Maske zelebriert: Der Balkan als wildes, schmieriges, machoides, pfeffriges, dreckiges und triebhaftes Mexiko für alternative europäische Mittelstands-Kids, als idealisiertes Gegenmodell zu Papas betriebsamer Spießersauberkeit. Käme ich vom Balkan, würde mir vor diesen Kulturalisten mehr grausen als vor den Rechten.
Balkan Fever Feminin
17. April – 11. Mai 2010
Diverse Locations, Wien