6 gute Gründe, »Blasmusikpop« zu lesen

Vea Kaiser hat mit ihrem Roman „Blasmusikpop“ ein starkes literarisches Debüt hingelegt. Die 23-Jährige taucht darin tief in die ruralen Mythen eines kleinen, abgeschiedenen Bergdorfes ein und definiert nebenbei das Genre Heimatroman neu. Ohne Gift und Galle zu spucken arbeitet sich die Autorin am Landleben ab und porträtiert mit Charme und Sinn fürs Skurrile eine bergbarbarische Dorfgemeinde, die einen anderen Zeitbegriff pflegt. Sechs gute Gründe das Buch zu lesen.

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01 Das Buch ist gut recherchiert, klug, aber nie verkopft.

»Blasmusikpop« strotzt nur so vor verzerrten Fakten und beiläufig eingestreutem Wissen. Die liebevoll bis in kleinste Details ausgemalte Spießigkeit eines Lebens in der Bildungsferne des hochalpinen österreichischen Hinterlands wurde wahrscheinlich noch nie hingebungsvoller geschildert als von Vea Kaiser. Man merkt: Die Autorin weiß, wovon sie spricht. Den Bergbarbaren und »all den tumben Bergbauern und ihrem Verdauungsschnaps« stellt sie zwei Außenposten der »Zivilisation« entgegen: einen Mediziner und seinen Enkel. Beide widmen ihr Leben der Wissenschaft. Mit Parasiten und antiken Denkern muss man sich nicht beschäftigt haben, um nach knapp 500 Seiten doch einiges über sie erfahren zu haben. Gerade wer nicht im Dorf groß geworden ist, wird viel über Österreich lernen.

02 »Blasmusikpop« ist durch und durch österreichisch.

Nein, auch wenn es diesem Buch nicht an Gehalt fehlt: Das hier ist keine Weltliteratur! Zu sehr zementiert Kaiser mit ihrem eigens kreierten bayrischen Kunstdialekt das Unurbane, Ungehobelte, Rustikale und Fortschrittsfeindliche – das typisch Österreichische ein. Ein Österreich-Roman (so er sich nicht als Abgesang auf den kakanischen Vielvölkerstaat versteht) lässt sich offensichtlich immer noch nicht aus der Stadt heraus erzählen. Österreich ist ein Dorf. Wir sind Sankt Peter am Anger.

03 Vea Kaiser hat Witz und kann erzählen.

Vea Kaiser hat das Talent eines Michael Köhlmeier. Sie kann erzählen, richtig gut unterhalten, verfügt über eine beeindruckende Beobachtungsgabe und schafft es dabei auch noch, zu vermitteln: zwischen Barbaren und Kultivierten, zwischen scheinbar Gegessenem und der Gegenwart, zwischen (Klein-)Stadt und Land. Dabei ist »Blasmusikpop« nicht nur eine Roman gewordene Sammlung von Dorfgeschichten, sondern ein drei Generationen übergreifender Entwicklungsroman, der den »Tagebüchern des Adrian Mole« oder auch dem »Club der toten Dichter« um nichts nachsteht. Manch derben Schmäh, manch skurrilen Charakter, die Situationskomik, aber auch die irrwitzigen Einfälle Kaisers wird man nicht so schnell vergessen. Etwa, wenn der Bürgermeister die neue Dorfdisco mit den Worten: »Na dann lasst’s uns tanzen, bis den Mädls die Duttln aus den Dirndln hupfn!« eröffnet.

04 Dieser Roman wird verfilmt werden – als Bestseller.

Das ist eine Prognose. Gewagt ist sie aber nur deshalb, weil es kaum noch richtige Bestseller gibt. »Blasmusikpop« wird es als Taschenbuch geben, als Hörbuch, die Autorin wird unzählige Male daraus vorlesen, Widmungen hineinschreiben, und es wird verfilmt werden –hoffentlich weniger schrullig als »Der Unfisch« (schon wieder Köhlmeier!) und ohne auf den Erfolg von »Die Piefke-Saga« zu schielen. Vielleicht wäre die Story etwas für Michael Glawogger.

Niemand wird danach trachten, den Wikipedia-Eintrag zu Vea Kaiser, an dem sicher schon irgendjemand bastelt (und sei’s ihr Verlag), löschen zu lassen. Vielleicht wird es sogar einen englischsprachigen Eintrag geben. Dieser Roman wird nämlich auch übersetzt werden. Denn obwohl durch und durch österreichisch, gibt es Dörfer wie St. Peter am Anger überall. Auch die Welt ist schließlich ein Dorf. Eine Übersetzung ins Tschechische ist schon fix. Und eine Fortsetzung von Kaisers Roman drängt sich förmlich auf: Man möchte schließlich wissen, wie es diesem Johannes Alois Irrwein weiter ergeht.

05 Womöglich kann sich sogar das Feuilleton mit diesem Stück Popliteratur anfreunden.

Eine Hassliebe mit dem Feuilleton ist jedenfalls drin. Allein schon, weil Vea Kaiser als angehende Altphilologin keinen Hehl daraus macht, dass sie ihr Fach liebt und lebt. Die Autoren der klassischen Antike holt sie in die Gegenwart. Gerade die Wächter des Abendlandes können gar nicht anders als das gut finden. Und auch sonst zitiert sich Kaiser durch die Literatur- wie Altvordere durch die Pop-Geschichte. Selbst Thomas Bernhard findet – inhaltlich, nicht stilistisch – eine Bestätigung. Sein Stehsatz »Die Großväter sind die Lehrmeister« hat auch in Kaisers Dorfchronik seine Gültigkeit – wenngleich sich der Enkel bei ihr emanzipieren darf.

06 »Blasmusikpop« ist ein Anti-Anti-Heimatroman ohne Angst vor Kitsch und Happy End.

Ohne viel Folkore und ohne zu beschönigen beschreibt Kaiser das Leben auf dem Land. Zwar wird im Dorf vieles totgeschwiegen und als gottgegeben genommen. Doch dass hier keine Kinder mehr verkauft, niemand geknechtet und keine Mägde missbraucht werden, ist letztlich Beweis dafür, dass die Zivilisation gerade auch bei den Bergbarbaren Einzug gehalten hat. Und ist sie auch nur an den Fernsehgeräten, Gatschhupfern, Modemagazinen und Nordic-Walking-Stecken sichtbar. Weder an der Idylle, noch an der Enge muss sich Kaiser abarbeiten. Beides sind Pop-Chiffren, die als bekannt vorausgesetzt und aus der sicheren Distanz weitergedacht werden. Die Klosterschule, die der junge Johannes A. Irrwein besuchen darf, ist kein Hort der Pädophilen, Heuchler und Sadisten, sondern als schöngeistiges Bollwerk der Bildung selbst vom Ungeist des Marktdenkens bedroht. Denn die Welt ist längst nicht mehr klein, überschaubar und sicher. Nichts ist gottgegeben. Das weiß die Erzählerin. Das weiß der Leser. Und nach im Kloster verhauter Matura und geläutert durch einen Sommer der weltlichen Reife gegangen, weiß es am Ende auch der Enkel. Das mag kitschig sein. Peinlich ist es nie.

»Blasmusikpop« von Vea Kaiser ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen. Ein ausführliches Interview mit ihr über Homer und Vergil, über St. Anger und wie es wäre auf einer Kuh in den Sonnernuntergang zu reiten, gibt es hier.

Bild(er) © Anna Lisa Dorsch
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