Viele Blickwinkel, wenig Perspektive? – Musikschaffende diskutieren Realitäten

Das Leben von Musiker*innen ist in der Wahr­nehmung der Mehrheits­gesellschaft oft ein schillerndes, gemütliches und ausgelassenes. Die Realität sieht für die meisten Musik­schaffenden allerdings anders aus, denn: Man kriegt nur mit, was vermeintlich funktioniert aka durchbricht. Veronika König, Birgit Denk, Mwita Mataro und Alexander Lausch diskutieren beim Roundtable umfassend, wie es um Szene und Industrie steht.

Man muss es sich also auch leisten können, Musik zu machen?

Mwita: Genau. Es kann nicht sein, dass die meisten FM4-Stars weiß sind. Weil Österreich ist divers, ist vielfältig – und das ist etwas sehr Politisches. Wenn es in einem Line-up oder in den Charts keine Vielfalt gibt, dann gibt’s auch keine Migrations­kinder, die sagen: »Ich mach das jetzt auch!« Dafür fehlt das Bewusst­sein. Der Staat müsste ein System schaffen, das auch nicht-weißen Österreicher*innen die Möglichkeit gibt, Kunst zu machen.

Veronika: Ich komme ja aus Deutschland. Und man ist nicht klar Deutscher, wenn man irgendwie links ist. Es ist ein zutiefst rassistisches, nie entnazifiziertes Land.

Birgit: Das ist in Österreich nicht anders …

Veronika: Österreich ist auch ein zutiefst rassistisches Land – systemisch, kulturell. Aber gleichzeitig genießt es die Vielfalt der Kulturen. Es schmückt sich damit. Es wird dann auf jedem Plakat gezeigt, wie viele Leute welchen Hinter­grund haben. Aber Visibility Politics ohne Politics, die dahinterstehen, das ist natürlich die Falle schlechthin. Und da kann ich mir vorstellen, dass du dich ordentlich verarscht fühlst, Mwita. Sich diese Visibility-Falle anzugucken ist natürlich wichtig. Man muss große Resistenz beweisen, auch dann weiter Musik zu machen, das auch immer auszuhalten.

Mwita: Ich merke es bei anderen PoC-Kolleg*innen, die es nicht geschafft haben. Alles Solo-Acts. Das heißt: Die mussten dann alle Entscheidungen selbst treffen, was sehr zach ist, weil du halt nicht so ehrliches Feedback bekommst. Wenn du in einer Band bist, bist du in so einer safe bubble.

Veronika: Du hast ja auch eine Initiative gegründet, die sich dem annimmt und eine Plattform bietet für migrantische und PoC-Künstler*innen.

Mwita: Genau, das Programm »QM&A on Stage« als Teil der Initiative Question Me & Answer. Ein Anfang, um Musiker*innen mit Migrations­hintergrund und Flucht­erfahrung mit etablierten Gate­keeper*innen aus der Musik­branche zu connecten.

Veronika: Und dann gibt’s noch das Pink Noise Camp, wo Musik­bildung für alle Gender, aber mit dem Fokus auf Mädchen gemacht wird. Und all das muss es von uns für uns geben? Aber eigentlich sollte so etwas der Staat bezahlen.

Alexander: Ich finde es super, Veronika, wie du das zusammen­gefasst hast mit Visibility Politics. Meine Partnerin ist als Sängerin tätig. Sie ist Tunesierin und sträubt sich dagegen, das anzuzapfen.

Veronika: Es ist im Endeffekt ja wirklich ein waren­fetischisierender Vorgang, wenn du für deine Herkunft, deine Hautfarbe oder so vorne an den Karren gespannt wirst. Das ist keine Wert­schätzung, das ist auch keine Plattform, kein Statement. Du wirst fetischisiert.

Alexander: Weiter geht es mit der Sozialversicherung. Viele Musiker*innen mit migrantischem Hinter­grund wissen ja gar nicht, dass es eine zusätzliche Versicherungs­leistung über die SKE/LSG gibt. Wissen nicht, wo muss man hingehen, wo muss man sich da melden.

Zusammenfassend: Man muss die Möglichkeit bieten, dass alle Zugang haben zum Musikmachen und sich selbst an dieser Stelle sehen können?

Veronika: Visibility ist halt nicht genug. Man muss sich nicht nur sehen können und sich deshalb vorstellen können, dass es gehen soll, sondern es muss auch gehen. Es kann nicht nur die Geschichte von Mwita sein, der sich darüber hinweg­gesetzt hat und das mit seinem Talent und mit seiner Leiden­schaft trotz allem gemacht hat. Es kann nicht immer die Einzelgeschichte, nicht immer die Wunder­kind­geschichte sein.

Mwita: Da sind die Deutschen schon sehr gut am Start.

Veronika: In Deutschland gibt es halt die Jugend­häuser, wo es immer einen Sozial­arbeiter gibt, der Geld hat, um Konzerte zu veranstalten. So hab ich in meine ersten Auftritte mit meiner damaligen Band bekommen.

Birgit: Das nächste Problem ist dann, wenn die Jugendlichen vor der Tür stehen nach dem Konzert und sich eine Zigarette anrauchen. Da gibt’s sofort Ärger mit den Anrainer*innen …

Veronika, du hast eine sehr kritische Position gegenüber Major-Labels. Allgemein gegen Labels und vergleichbare Strukturen?

Veronika: Allgemein Labels nicht, aber Major-Labels auf jeden Fall.

Mwita: Ich auch.

Habt jemand von euch positive Erfahrungen in diesem Bereich?

Birgit: Wie ich angefangen habe, war es ein Ritterschlag, wenn du bei einem Major warst. Ich war bei Universal Österreich, mit einem Vertrag über drei Alben. Also ich bin nicht die Austro-Pop-Generation, in die noch wirklich Geld hineingesteckt worden ist, wo die A&Rs sich nächtelang mit den Künstler*innen überlegt haben, wie sie tun wollen. Für mich war das aber ein sehr wichtiger Türöffner, um die Szene kennen­zulernen. Ich glaube jedoch nicht, dass das, was ich jetzt von damals erzähle, noch in irgend­einer Art und Weise mit dem zu tun hat, wie es heute rennt.

Veronika: Ich sehe, wie Majors sich verhalten, ich sehe, dass sie nicht mehr das machen, was sie mal gemacht haben. Deshalb ist es für mich auch nichts, nach dem man streben sollte. Wenn das anders wäre, wäre ich auch anders eingestellt. Ich verteufle es nicht aus Prinzip, sondern es geht einfach drum, wie sie agieren, und auch um die Art von Kunst, die sie fördern. Mit der kann man bei mir nichts holen. 

Auf welchem Weg, mit welchen Produkten verdient ihr substanziell Geld mit eurer Musik? Birgit, du hast gesagt, du verkaufst noch CDs.

Birgit: Damit verdien ich aber kein Geld, weil ich das in die nächste CD-Produktion stecke. Das Geld, das ich verdiene, ist von Live-Auftritten. Und zwar zu 99,9 Prozent.

Veronika: Und von Tantiemen, wenn’s rennt.

Alexander: Alles andere ist Beiwerk.

Und wie ist es mit Spotify? 

Veronika: Spotify bringt nichts ein. Egal auf wie vielen Playlists du bist.

Alexander: Es ist ein bisschen wie eine Gewista-Plakatwand. Im Hintergrund haben halt ein paar Leute eingezahlt, damit das halbwegs läuft und der Algorithmus angestachelt wird. Aber das war’s. Ich hab Künstler*innen, die haben fünf Millionen Streams – das finanziert dann einen Teil ihrer nächsten Produktion.

Veronika: Wie kann es sein, dass du eine halbe Million Hörer*innen im Monat hast und am Ende kaum Geld siehst?

Veronika König: Auch wenn sich Veronika König mit ihrem Alias Farce mittlerweile vom Untergrund in diverseste Charts und auf internationale Festivalbühnen gespielt hat, hält sie es nach wie vor DIY. Aufgewachsen im Schwarzwald, tauscht sie das Black-Metal-Projekt beim Umzug nach Wien gegen die Arbeit als Solo-Noise-Pop-Künstlerin. Dieses Jahr veröffentlichte die 25-Jährige mit »Not to Regress« ihr drittes Album und sie blickt nach relativ kurzer Zeit als Musikerin auf Kooperationen mit Soap & Skin, Wolfgang Möstl und Æther Kombo zurück. (Foto: Alex Gotter)

Findet man sich damit ab, dass es so ist, oder glaubt ihr, es könnte besser werden?

Veronika: Das ist auch mein Krieg mit den Majors. Weil die sich genau dafür entschieden haben und nicht für Künstler*innen. Sie haben sich dafür entschieden, für diese Scheiße einzustehen. Plays zu drücken oder einfach nicht auszuzahlen, obwohl sie passiert sind, Fake-Künstler*innen zu erstellen …

Mwita: Und trotzdem machen wir alle mit.

Die heimische Musikszene hat sich in den letzten 10, 15 Jahren recht gut entwickelt. Also mit Beispielen wie Bilderbuch, Wanda oder Soap & Skin. Ist das für die gesamte Szene positiv oder ist es so, dass die Konzentration nur auf den Spitzen liegt?

Alexander: Also ich muss da widersprechen. Die österreichische Musikszene hat sich nicht gut entwickelt. Das ist einfach dieser Survivorship Bias. Man schaut sich die paar Erfolgreichen an und sagt: »Da muss ja voll viel passiert sein.« Aber im Gegenteil. Das sind alles Acts, die aus prekären Situationen heraus das Glück hatten, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Es sei ihnen natürlich gegönnt!

Birgit: Ich glaube, das mit diesem positiven Hype ist so, dass plötzlich wieder Bands da sind, auf die die Österreicher*innen stolz sein können. Also dass man sich nicht genieren muss, dass man die hört. Finanziell ist es nicht wirklich besser geworden. Das weiß ich auch noch von der Generation davor, die sich ja mittler­weile eh selbst als die goldene Generation bezeichnet. Wo auch No-Names, Musiker, die heute keiner mehr kennt, und ich bleib absichtlich in der männlichen Form, gutes Geld verdienen konnten. Die leben jetzt noch von den Tantiemen, weil halt »Du entschuldige, i kenn di« noch immer auf Radio­stationen rauf und runter gespielt wird – auch in Deutschland.

Veronika: Die Industrie ist vermottet und beschissen. Aber die Szene ist da. Die Musik ist da. Der Wille ist da. Aber natürlich gibt’s da ein Nadelöhr.

Alexander: Der Markt wird’s regeln …

Veronika: Selbst Mavi Phoenix, der wirklich einen Moment hatte, wo findet der in Österreich noch groß statt? Wo ist seine Verwertungs­möglichkeit? Ich bin von seiner Musik gar kein Fan, aber wenn ich sehe, dass jemand so fallen gelassen wird, weil er sich outet, ärgere ich mich.

Alexander: Es muss halt alles auch schön international klingen. Na sicher! Was soll denn das heißen, etwas klingt international? Wenn ich das schon höre …

Birgit: Das ist wieder unser komisches Selbst­bewusstein.

Bitte zu Tisch! Unser Roundtable über die ökonomische Lebensrealität von Musikschaffenden fand im Seminarraum des österreichischen Musikinformationszentrums Mica – Music Austria statt. (Foto: Alex Gotter)

Zum Abschluss noch zwei Fragen: Würdet ihr jungen Leuten empfehlen, Musiker*in zu werden? Und werdet ihr selbst in zehn Jahren noch Musiker*in sein?

Mwita: Also zur ersten Frage: Ja, go for it! Der Frontman der Idols hat mal in einem Interview gesagt, wenn man sich kreativ auslebt, ist das eine Art spirituelle Erfahrung. Das finde ich gut. Und diese Erfahrung würde ich jedem wünschen, so ein Ventil zu haben, sich selbst ausdrücken zu können. Werde ich in zehn Jahren noch Musik machen? Voll! Ich war 14 Jahre lang so im Korsett in einer Band, dann kam Corona und jetzt werde ich immer offener und offener dafür, mit anderen zusammen­zuarbeiten. Es macht Spaß, wieder mit anderen Leuten abzuhängen, mit anderen Leuten zu proben. Diese musikalischen Erfahrungen sind Gold wert, sie steigern meine Lebens­qualität.

Birgit: Ich kann beide Fragen gleichzeitig beantworten, weil: Man ist Musiker*in. Punkt. Und man kann sich dann entscheiden, dass man noch was anderes macht, damit man Geld verdient – und zwar mit 15 oder mit 61 –, aber man ist Musiker*in. Fertig. Und das sucht man sich auch nicht aus. Man ist es. Und wenn die Gesell­schaft will, dann schaut sie, dass Menschen das auch sein können. Oder eben nicht.

Alexander: Ich hab immer wieder Schulklassen bei mir, und denen sag ich immer, dass man gemeinsam kreativ arbeiten kann und dass es nicht immer nur ums Business geht. Natürlich, man muss es auch ernst nehmen und es ist auch Business. Das heißt Steuern, Versicherungen und so. Aber wenn man ein realistisches Bild davon hat und man trägt diese Not in sich, Kunst zu schaffen, dann: Go for it! Die zweite Frage kann ich mit einem klaren Ja beantworten. Das hab ich in den letzten paar Jahren für mich heraus­gefunden. Das ist das Ziel. Wenn meine Ohren funktionieren, dann kann ich gar nicht aufhören. Jeder zusätzliche Tag, so wie heute, so viel coole Inputs – das will ich nicht missen.

Veronika: Ich kann’s nicht als sicheren Berufszweig empfehlen, aber ich kann ohnehin keinen Berufs­zweig empfehlen, weil man ja nicht mal weiß, wie man der nächsten Generation die Welt hinterlässt. Also, würde ich in der Jobberatung jemandem sagen, werde Musiker*in? Wahrscheinlich nicht. Aber ich würde sagen, wie ihr alle: Musik ist ein menschliches Grund­bedürfnis, sie ist Kommunikation – Klang zu erleben, zu erzeugen und das auch gemeinsam. Von daher: Ja natürlich, jede und jeder soll Musiker*in werden und je unverwert­barer desto besser eigentlich. Weil auch Musik Widerstand ist und es ganz wichtig ist, auch dieses Potenzial zu nutzen. Und bin ich in zehn Jahren noch Musikerin? Wenn ich darf und meine Fähig­keiten behalten kann, ja natürlich.

Mitarbeit: Andrea Pfeiffer

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