Viele Blickwinkel, wenig Perspektive? – Musikschaffende diskutieren Realitäten

Das Leben von Musiker*innen ist in der Wahr­nehmung der Mehrheits­gesellschaft oft ein schillerndes, gemütliches und ausgelassenes. Die Realität sieht für die meisten Musik­schaffenden allerdings anders aus, denn: Man kriegt nur mit, was vermeintlich funktioniert aka durchbricht. Veronika König, Birgit Denk, Mwita Mataro und Alexander Lausch diskutieren beim Roundtable umfassend, wie es um Szene und Industrie steht.

© Alex Gotter

Wer sich in der österreichischen Musik­landschaft bewegt, hat eure Namen wahr­scheinlich schon einmal gehört oder ist auf eines eurer Musik­projekte gestoßen. Die wenigsten wissen aber wohl, ob ihr von der Musik leben könnt. Würdet ihr zum Einstieg kurz eure Situation beschreiben?

Mwita Mataro: Ich hab das »Unglück«, dass ich in einer Band bin. Wir müssen alles durch drei bzw. vier teilen. Selbst um ein bescheidenes Leben führen zu können, müssten wir in dieser Konstellation als Band Umsätze machen, die schwer möglich sind. Man hat ja Ausgaben für Musikvideos, Fotos, Tontechnik, wenn man ganz crazy ist, auch für Licht­technik und so weiter. Da muss in der Band noch einiges passieren, damit alle ihre Brotjobs kündigen können.

Birgit Denk: Ich lebe seit 2006 von der Musik. Vorher war ich Sozial­pädagogin und hab daneben Musik gemacht, bis das dann so intensiv geworden ist, dass ich aufhören konnte, fix angestellt zu arbeiten. Seither bin ich als Künstlerin selbstständig. Aber: Von der Musik leben – das muss man ein bisschen einschränken. Man muss sehr breit aufgestellt sein. Ich verdiene mein Geld durch Singen, durch Komponieren, durch Moderieren und durch Hilfestellung für andere Leute. Der Zeitpunkt, ab dem ich gut schlafen konnte, war, als ich im Fernsehen vorgekommen bin. Mein Bekannt­heits­grad ist zumindest so groß, dass ich meine Miete zahlen und vielleicht einmal im Jahr auf Urlaub fahren und ein bissl Geld auf die Seite legen kann, falls der Kühl­schrank mal hin wird.

Alexander Lausch: Man kann sagen, dass ich von der Musik lebe, aber nicht als Musiker, sondern über Umwege: als Produzent und Studio­betreiber. Es war lange sehr prekär, weil man erst einmal ins Studio investieren muss. Seit ca. zehn Jahren rechnet sich das alles und geht sich aus. Als Neben­effekt kann ich meine Musik so machen, wie es mir gefällt – ohne irgendwelchen Förderungs­vorgaben oder Festival-Gatekeepern entsprechen zu müssen.

Veronika König: Als ich in nach Wien gezogen bin, hab ich studiert, hab Kindergeld und Unterhalts­zahlungen bekommen. Damit hab ich die Miete bezahlt. Alles darüber hinaus musste ich mir erarbeiten. Ich hab zum Beispiel im Filmcasino an der Bar gearbeitet. Als ich dann angefangen hab, Shows zu spielen, hab ich auch DJ-Sets gespielt. Später dann Produzieren und Mischen für andere, Session-Writing, Coaching – was auch immer gebraucht wurde. Im Herbst hab ich Projekte im Theater. Einen zusätzlichen Nine-to-five-Job hab ich also keinen, aber kann ich von der Musik leben? Vom Handwerk, von der Dienst­leistung und von der Kunst zusammen geht es sich aus. Aber auch, weil meine Partnerin, mit der ich zusammen­lebe, einen richtigen Corporate Job hat.

Aber, wenn ich euch richtig verstehe: Ihr würdet alle gerne von eurer Musik leben?

Mwita: Ja, das wäre schon nice.

Alexander, du hast da einen pragmatischeren Zugang?

Alexander: Ich bin da in einer privilegierten Situation. Ich hab das, was ich immer schon gerne machen wollte, zu meinem Beruf gemacht, und ich würd jetzt nicht tauschen wollen. Aber natürlich wär es fantastisch, wenn in Österreich mehr Bands Umsätze machen könnten, die drei, vier, fünf, sechs Musiker*innen und vielleicht auch noch Crew-Mitglieder ernähren würden.

Birgit: Prekär ist es jedenfalls für uns alle. Ich kenn ja auch noch die noch etwas Älteren, also ich rede jetzt von richtigen Stars. Bei denen ist es nicht anders. Es ist nicht so, dass Wolfgang Ambros ausgesorgt hätte. Warum spielt er noch immer, obwohl’s ihm körperlich recht schlecht geht? Das Arge ist, dass auch die aus der Zeit, in der man als Musiker*in wirklich noch gutes Geld verdient hat, in einer prekären Situation sind.

Mwita Mataro: Der in Salzburg geborene Musiker mit tansanischen Wurzeln wirkt seit 2010 als Frontperson der Indie-Partie At Pavillon. Seither unterstützt er Projekte rund um Initiativen wie Question Me & Answer und den Verein Afrikanische Diaspora in Österreich – mit Fokus auf Diversität im Sektor Kunst und Kultur. Zuletzt trat Mataro als Co-Regisseur und Protagonist des Dokumentarfilms »Austroschwarz« auf und kuratierte in diesem Zusammenhang Konzerte in Wien, bei denen Schwarze Künstler*innen Austropop-Klassiker coverten. (Foto: Alex Gotter)

Zuletzt ist ein Posting durch Social Media gegangen: Laut BBC-Recherchen kommen in Groß­britannien 91 Prozent der professionellen Musiker*innen nicht über die Armutsgrenze. Überrascht euch diese Zahl?

Veronika: Die Klassensituation in Großbritannien ist ja nicht besser als in Österreich, wahrscheinlich sogar noch prekärer, die Schere noch größer. Wobei dort Dinge wie Public Funding mal sehr in die Kultur eingeschrieben waren: dass jeder ein Musik­instrument lernt, dass jeder – auch Leute mit Working-Class-Hintergründen – auf eine Kunst­schule gehen kann. Von daher ist es ein Armuts­zeugnis. Es überrascht mich aber nicht. Wahrscheinlich ist die Zahl in Österreich noch höher.

Alexander: Gemeinsam mit anderen habe ich eine Diskussions­runde ins Leben gerufen, bei der Leute aus verschiedenen Bereichen des Kunst- und Kultursektors an den Tisch kommen, um über solche Sachen zu reden. Und das erste größere Ziel ist es, eine Umfrage in Auftrag zu geben, die genau das evaluiert. Ich glaube, wenn man mal wirklich Zahlen dazu hat und draufkommt, unsere Musiker*innen sind alle arm, dass dann auch politisch etwas passiert. Wenn man mit Musiker*innen spricht, kriegt man mit, wie viel da querfinanziert ist. Es werden teilweise die Lebens­versicherungen der Großmütter verwendet oder Ähnliches.

Mwita: Es gibt auch keine Transparenz. Man weiß nicht wirklich, welche Gagen andere bekommen, etwa Bilderbuch oder Wanda, also die ganz Großen. Beziehungs­weise: Wir wussten am Anfang gar nicht, wie viel wir verlangen können. Es gibt zwar Fair-Pay-Listen, aber come on … (alle lachen)

Veronika: Transparenz fängt auch damit an, dass man über Gagen redet. Warum Gagen sind, wie sie sind. Als Veranstalter zu erklären: Wir haben so viel Budget, so viel zahlen wir für das und so viel für das. Aber dafür ist eben nicht immer die Zeit da.

Alexander: Es herrscht wirklich sehr viel Intransparenz und ich glaube, dass bis oben hin Menschen sitzen, die sich über 20, 30 Jahre an Gatekeeper-Positionen festkrallen. Das ist vielleicht auch ein Mitgrund dafür, dass Musiker*innen oft einen gewissen Conspiracy-Vibe mitbringen. So in der Richtung: Naja, in den Förder­stellen, da macht man sich ja untereinander alles aus. Das ist schade, weil gerade in den Förderstellen sollte man auf unserer Seite sein. Was viele ja auch sind.

Birgit: Ich war sechs Jahre als Jurymitglied im SKE-Beirat. Da war es tatsächlich so, dass wir uns für die Entscheidungen viel Zeit genommen haben, dass wir viel diskutiert haben. Aber was bei Fördergremien nicht immer klar herauskommt, ist einfach, was genau gefördert wird. Da gibt es oft Miss­verständnisse bei Leuten, die einreichen. Die meisten Förderungen zielen darauf ab, sich wirtschaftlich wieder reinzuspielen. Die Grundidee ist: Ich nehme für den Musikfonds Kohle in die Hand, damit Produzent*innen, Grafiker*innen bezahlt werden und nicht damit die Künstler*innen ein Geld haben. Geld dafür zu kriegen, dass du singst oder spielst – darum geht es überhaupt nicht. Die Grund­sicherung von Personen, die Kunst schaffen, fehlt bei uns komplett.

Mwita: Ich hab mir am Weg hierher auch noch mal angesehen, wer dieses Jahr beim Musikfonds gefördert worden ist. Und ich versteh nicht wirklich, warum zum Beispiel ein Voodoo Jürgens gefördert wird, weil der ja easy von der Musik leben kann. Oder warum Eli Preiss eine Förderung bekommt – die ist doch bei einem Major-Label.

Veronika: Darüber müssen wir wirklich reden, weil Sony und Universal zehn Acts pro Jahr signen und mit Geld aus dem Musikfonds aufbauen, selbst aber kein Risiko mehr reinstecken. Warum werden die gefördert? Voodoo Jürgens wiederum, der unterhält eine Gruppe von 30 Personen oder so. Natürlich, er ist erfolgreich und kriegt genügend reingespielt – aber der ist ein Austrian Independent Business, dafür ist der Musikfonds da. Dass jedoch Multinationals wie Sony und Universal gefördert werden, das ist wirklich abgefuckt.

Mwita: Ich finde, wenn sich eine musik­schaffende Person alleine von der Musik erhalten kann, sollte die Person von der Förderung ausgeschlossen sein. Und wenn eine musikschaffende Person von einem Major-Label eingereicht wird, ebenfalls.

Veronika: Was die Major-Labels betrifft, stimme ich dir zu. Als Musikerin hab ich nicht die gleichen Ressourcen wie sie. Wenn ich Corona kriege, muss ich meine Tour absagen, dann muss ich meine Förderung zurückzahlen, mir Ersatzkonzerte planen. Das sind Probleme, die Major-Label-Acts nicht haben. Deshalb sollten sie nicht dieselbe Förderung kriegen. Aber die Acts sind ja nicht das Problem. Die wollen auch nur davon leben.

Mwita: Als Band brauchst du am Anfang ein großes Startkapital, um die Kosten zu stemmen. Wir haben zum Beispiel oft diskutiert: Zahlt es sich aus, zu Showcase-Festivals wie Reeperbahn oder Eurosonic zu fahren? Es könnte ja sein, dass da dann im Publikum Gatekeeper sind, die uns »entdecken«. Also, okay, machen wir es. Man beißt in den sauren Apfel, fährt zehn Stunden auf der Autobahn, ist grantig … Da ist es schwer konkurrenz­fähig zu sein mit Acts, die von Majors Kohle in den Arsch geschoben bekommen.

Birgit: Für mich sind solche Diskussionen wichtig. In Wirklichkeit ist es aber Kleinkram, über den wir da gerade reden. Es geht nicht um den Musikfonds und es geht auch nicht um den SKE-Beirat. Es geht nicht darum, ob ich es mir als Band leisten kann, zum Reeperbahn Festival zu fahren. Es geht um eine politische Entscheidung. Alles andere ist auch wichtig, nimmt aber wahnsinnig viel Energie von dem weg, was wirklich diskutiert gehört. Nämlich: Bin ich als österreichischer Staat, als politischer Entscheidungs­träger, als politische Entscheidungsträgerin der Meinung, dass wir Popular­musik in Österreich haben und fördern wollen? Und zwar von Indie bis zum Gassenhauer. Und das Arge ist, dass ich zu der Über­zeugung gekommen bin, dass da die Einstellung vorherrscht: De mochn eh. Dann spielst halt ein bissi, und wenn du nicht mehr kannst, wird’s wer anderer machen. Wenn du aufhörst, wird es wen Neuen geben.

Alexander: Das ist dann die »lebendige Szene«.

Birgit Denk: Seit der Jahrtausendwende steht die Dialektsängerin an der Spitze der nach ihr benannten Band Denk. Bis 2006 parallel zum Brotjob als Sozialpädagogin, danach aufgrund von diversen anderen (semi-)musikalischen Engagements hauptberuflich. Von 2014 bis 2021 moderierte Denk sieben Staffeln der Late-Night-Musikshow »Denk mit Kultur« auf ORF III. Außerdem war sie jahrelang Teil der Förderjury der SKE. 2019 erhielt sie von ihrer Geburtsstadt Hainburg an der Donau das Goldene Ehrenzeichen für besondere kulturelle Verdienste im Bereich Musik. (Foto: Alex Gotter)

Birgit: Genauso wie bei den Locations, die wir ja alle brauchen, damit wir spielen können: Wenn das U4 sich nicht mehr rentiert, dann sperrt es zu. Dann ist es zwei Monate geschlossen und dann gibt’s einen neuen Pächter, eine neue Pächterin. Das heißt, es ist total viel dem Markt überlassen. Der österreichische Staat hat sich nie dazu entschlossen, den Weg zu gehen, den England, Frankreich, Schweden und Belgien gegangen sind. Zu sagen: Wir sehen das auch als sozial­politischen Auftrag. Wir sehen das als wirtschaft­liche Chance für unser Land. Und die Leute sollen nicht nur jubeln, weil bei uns einer schnell eine Skipiste hinunterfährt, sondern auch, weil wir den nächsten heißen Scheiß machen, zu den in den türkischen Discos getanzt wird. Diese Entscheidung hat es nie gegeben. Und genau da ist anzusetzen. Wir müssen klarmachen, welches Potenzial hier vergeudet wird. Diese Tausenden von tollen Leuten – egal wie alt, egal welche Farbe, egal welche Orientierung –, die Musik machen können, müssen wir fördern. Es gehört eine Grundabsicherung her, wie bei Sportlern über den Heeressport.

Alexander: Da muss man gar nicht darüber diskutieren, dass man das bei der Kultur auch so machen sollte, weil in der Hochkultur ist es ja eh so.

Mwita: Es ist halt nach wie vor der Fall, dass die Hochkultur im Vergleich zur Popular­musik stark gefördert wird. Dabei macht das keinen Sinn. Nur weil ein bestimmtes Genre mehr Geld abwirft?!

Veronika: Es ist im Endeffekt ein ideo­logischer Kampf. Es ist immer Anna Netrebko, die für vier Millionen Euro in die Oper kommt. Es ist der Gabalier oder sonst wer, so lange es nicht die anderen sind – und die Popular­musik ist in Österreich das andere. Das ist das Problem, das sich auch nach Falco nicht geändert hat. Und es wird sich auch mit Bilderbuch und Wanda nicht ändern.

Also seid ihr pessimistisch, dass sich die Förder­strukturen zugunsten von Popular­kultur verändern könnten?

Veronika: Birgit hat’s gesagt: Was zum Beispiel der Austrian Music Export und Mica machen, was auch die Gremien bei der SKE machen – da sitzen überall Leute, die Leidenschaft für Musik haben und die österreichische Musikszene haben. Aber die ziehen zu viert dieses riesige Paket. Und sie können es nicht ziehen, weil es dem Staat nicht einfach nur egal ist, sondern es wird auch noch mit rigorosen büro­kratischen Hürden dagegen gearbeitet, dass Menschen das irgendwie schaffen, die nicht bereits österreichisches Beamten­deutsch sprechen.

Birgit: Es gehört einfach staatlich, aus ideologischen Gründen bestimmt, dass man Popularmusik fördern will. Alles andere kommt dann von alleine.

Alexander: In Wien beginnt jetzt die Phase nach der Pandemie, wo es viel Kultur­angebot gratis gibt. Das ist nochmal eine zusätzliche Entwertung. Eine Abwärtsspirale. Da war ich jetzt eh schon beim Donau­insel­fest und als Nächstes geh ich noch aufs Popfest – dann hab ich eh alles gesehen. Warum soll ich um 30 Euro, äh, um 7 Euro ins B72 gehen, wenn ich gratis auch irgendwo hingehen kann?

Birgit: Als wir angefangen haben, da wäre ich von den Kolleg*innen geschimpft worden, obwohl mich noch keiner gekannt hat, wenn ich irgendwo für umsonst spiele. Irgendwann hat das aufgehört. War’s das Streaming oder MP3? Keine Ahnung … Teilweise muss ich mit den Jungen richtig­gehend streiten, weil ich ihnen sage, dass sie sich von 47 Likes oder ihren Follows nichts kaufen können.

Veronika: Das ist die Klassenfrage. Es gibt Leute, die können sich’s einfach leisten für ein Konzert nichts zu nehmen. Für mich hat das nie aufgehört. Ich sag Veranstalter*innen, wenn sie mir ein freches Angebot machen, dass es ein freches Angebot ist und dass ich es natürlich nicht annehmen kann, auch wenn ich die 300 Euro für meine Miete bräuchte. Man muss die Solidarität haben, nicht für 0 Euro zu spielen. Aber Leute, die sich’s leisten können, denken darüber nicht nach.

Mwita: Ich möchte noch etwas zum Thema Bildung sagen: Keiner hat uns zum Beispiel gesagt, was du alles brauchst, um Musiker*in zu sein. Du brauchst einen Steuerberater, du musst dich mit Jus auskennen, im Marketing. Die Unterhaltungs­industrie ist sehr intransparent und solche Dinge sollten den Kids schon in der Schule beigebracht werden. Wie viel verdienen Musiker*innen oder Schau­spieler*innen? Viele junge Menschen glauben, der einzige Weg, erfolgreich sein zu können, ist, sich bei so einer depperten Casting­show zu bewerben. Das ist aber nicht der Fall. Alle, die nachhaltig von Musik leben, müssen es irgendwie anders schaffen.

Veronika: Musik machen geht nur, weil andere es mit dir gemeinsam machen, weil irgendein Jürgen in Krefeld in seinem autonomen Zentrum gesagt hat: »Klar, Donnerstag­abend machen wir euer Konzert. Es gibt Spritgeld, und wenn an der Tür noch was reinkommt, kriegt ihr das obendrauf. Es gibt veganen Eintopf, Schlafen auf der Bühne.« Und deshalb sind wir als Gruppe hier und reden von unseren vielen Strategien, die wir gefunden haben, to make it work. Es geht immer um die Gemein­samkeit, um die Zusammen­arbeit. Pop existiert in dem Sinne nicht mehr durch wirtschaftliche Prägung, sondern eigentlich nur durch Appeal und durch Anschlussfähigkeit von vielen verschiedenen Ecken. Österreichischer Pop, wo bist du?

Alexander: Der schlummert im Untergrund und ersauft im Ellbogen­gemenge? Wenn wir von Popmusik sprechen, sprechen wir immer nur von den einzelnen Spitzen, von den Erfolgreichen, weil immer geglaubt wird, du musst genau diese eine Sache machen, damit du dorthin kommst. Wir als Schaffende und Arbeitende wollen aber einfach unsere Miete bezahlen. Wenn ich mit 40 durchbreche, ist es auch okay, aber es ist nicht mein oberstes Ziel.

Birgit: Ich bin in einer tollen Situation mit meinen 51 Jahren: Ich verkauf CDs. Wir haben ein Publikum, die drücken dir bei 18 Euro Eintritt einen 20er in die Hand. Die haben Geld, sind so alt wie ich. Zur Popmusik gehören mittlerweile halt auch 70-Jährige dazu. Und das sind die, die dieses Werkl irgendwie am Laufen halten. Das sind die, die ihren Enkel­kindern das Geld geben, damit sie sich die nächste Aufnahme leisten können. Diese musik­verliebte Generation, die jetzt zwischen 50 und 80 ist. Ich bin neugierig, was passiert, wenn es die mal nicht mehr gibt.

Veronika: Und Metal-Fans! Ich weiß nicht, ob du das auch so erlebst? Aber wenn Leute bei mir Merch kaufen – und zwar so richtig –, sind es immer Metal-Fans zwischen 35 und 55, die einfach einen Job und die Kohle haben. Die kommen auf ein Konzert und sind bereit 80 Euro auszugeben. Die sagen: »Ich will das T-Shirt, ich will die Platte, ich will alles signiert haben.« Weil Musik ein Hobby ist, das man sich leisten können muss, wenn man diese Person ist, die zum Merch kommt.

Birgit: Die kaufen dann von Mastodon die zweite Platte, weil sie grün ist.

Veronika: Und weil sie von Subkultur erzogen sind, die Kunst wertzuschätzen. Das fehlt heute. Das Business der Major-Labels ist Raubtier­kapitalismus. Und dass dabei alle mitmachen, das ärgert mich. Denn die Jungen wollen das eigentlich nicht. Die wollen nicht jeden Tiktok-Star, den sie mal irgendwo gesehen haben, mit zehn Songs auf Spotify hören. Die Jungen wollen Musik, die von Musiker*innen gemacht ist. Aber Leute in irgendwelchen Büros denken sich, krass, ein Anglerhut und so Trap-Beats – das ist voll geil gerade. Aber auch Tattoos und Punk. Es fehlt die Wertschätzung, zu erkennen, was wirklich dahinter­steckt, weil man nur sieht: Welche österreichische Band hat es in ein Flugzeug nach Los Angeles geschafft. Das ist so eine österreichische Obsession: Ich hab es geschafft, übers Meer zu fliegen, und jetzt geht’s los – und danach passiert nix. Was in Österreich passiert, ist nur etwas wert, wenn es irgendwohin exportiert wird.

Alexander Lausch: Mit seinem Rocktrio Lausch veröffentlichte der Musiker, Studiotechniker und Produzent seit der Formierung 2005 unter anderem fünf Studioalben. Nachdem Lausch 2003 seine Ausbildung zum Tontechniker am SAE Wien abgeschlossen hatte, gründete er 2007 sein eigenes Tonstudio namens Listencareful, das er zusammen mit seinem langjährigen Musikerkollegen Marc Bruckner seit 2010 in Hernals betreibt. Hier gaben sich bereits Bands und Musiker*innen wie Steaming Satellites, Good Wilson, Chick Quest und Mira Lu Kovacs die Klinkenstecker in die Hand. (Foto: Alex Gotter)

Birgit: Ganz viele erfolgreiche österreichische Acts sind auch nur deshalb in Österreich erfolgreich, weil sie zuerst in Deutschland erfolgreich waren. Erst dann haben sich die Radio­stationen getraut, sie zu spielen. Das war schon beim Falco so. Das ist offenbar unsere Geschichte.

Alexander: Und mit jedem Erfolg, den wir in Österreich haben, wird das anscheinend noch schlimmer. Ich hab ja sehr viele junge Musiker*innen bei mir auf der Couch sitzen. Von denen werde ich aber nicht als Musiker wahr­genommen, der es geschafft hat, sondern als einer, der es nicht geschafft hat. Durch­zubrechen nämlich. Einen Erfolg wie Wanda oder Bilderbuch zu haben.

Mwita: Ich wollt noch ein anderes Thema aufgreifen, und zwar die fehlende Diversität in der österreichischen Musik­branche. Aus eigener Erfahrung als Migrations­kind weiß ich, dass sich das Musik­machen nicht jeder leisten kann, es ist sehr teuer. Ich hab mich auf Festivals und Konzerten immer gewundert, warum ich der einzige nicht-weiße Österreicher war. Und oft noch immer bin. Und es war dann für mich irgendwie klar: Die meisten Menschen entscheiden sich dafür, einen Job zu finden, der fix Kohle bringt, und nicht irgendein unrealistisches Musik­projekt zu starten.

Weiter zu: Visibility Politics, Major-Labels, Spotify und der Zustand der Szene

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