Vergiss deine beschissene Ironie. Swans blicken ins Gesicht der Gegenwart, ihren vernichtenden Lärm, ihre Lügen, ihre Schönheit.
Der Ton wird rauer, dunkler, grimmiger. Nach den letzten paar Jahren zurückgezogen im Strandhaus und endlosem Sommer, im Idyll vergilbter Bilderalben und rauschender Memory Tapes, dämmerte es so langsam, dass Marktwirtschaft nicht mehr das ist, was sie mal war. Und man merkt, das Leben geht ja weiter, nur irgendwie ohne die geile Zuversicht von früher, stattdessen härter, verbissener. Der Titelsong allein ist ein halbstündiges, besinnungsloses Mantra, ein Monster, ein Killer, ein Zerstörer, ein Untergeher, ärger als jeder Film von Michael Bay. Mit dem Ende der Welt 2012 hat das trotzdem nichts zu tun, sondern viel mehr mit der verzweifelten Suche nach einem anderen Bewusstsein für die Dinge, nach etwas, was dahinter liegt. Ob man dort überhaupt ankommt, spielt dabei erst einmal gar keine Rolle. Musik ist wieder auf der Suche nach ihrer Transzendenz, das zählt, nach ihren Möglichkeiten, als Wegweiser, als Sprungbrett, meditative Gondel, ganz hin zur Ekstase geradewegs. Das braucht natürlich Zeit. Hier zwei Stunden. „The Seer“ von den Swans ist deswegen so überzeugend, weil man den Willen eine andere Welt aufzustoßen selten so deutlich gehört hat. Die Fähigkeiten dazu hat die Band 30 Jahre nach ihrer Gründung sowieso.
Kassandras Nebenhorn
Ein viel unwahrscheinlicheres Comeback hat es allerdings kaum einmal gegeben. Zum Album nach dem Comeback nämlich. Die einschlägigen Tumblr und Webzines überschlagen sich geradezu, das Feuilleton wird folgen. Swans lassen die Füße baumeln; und die Köpfe hoch hängen. Auf „Song For Warrior“ – einem sehr klassischen Song, der nur dann nicht zum Rest des Albums passt, wenn man ihn nicht als Auftakt zum zweiten Teil versteht – singt Karen O vom Heimkommen, Vernichtung und einem Neuanfang. Auf „Lunacy“ steuern Low ihre Stimmen bei – noch so Zusammendenker von Hass und Liebe. Immer wieder wiederholt sich wieder holt sich wieder holt sich der Irrsinn wieder, die Kindheit ist endgültig vorüber. Und damit wohl auch die Ironie. Nun, vielleicht. Manches bleibt auf dem Album kryptisch, unnahbar und sperrig … als würde Kassandra ihre Warnungen mit dem Nebelhorn eines Supertankers morsen. Um die Signale zu hören, und sie auszukosten, sollte man doch eher etwas für existenzielle Schwere, dröhnende Hybris und zwanzigminütigen Space Rock übrig haben. Sonst bleiben die sehr dichten und erschreckenden Visionen auf „The Seer“ einfach nur langatmiges Gebrabbel alter Männer.
"The Seer" von Swans erscheint am 7. September via Young God Records.