Die Genderklagen nehmen den Weg über die Gerichte, um eine rechtliche Absicherung für nicht-binäre und genderqueere Personen zu erkämpfen. Dabei kann nur Schritt für Schritt und meist abseits der großen »kulturpolitischen« Diskurse gearbeitet werden. Aber was genau passiert bei den Genderklagen eigentlich, wozu braucht es sie und was wollen sie erreichen?

Können diskriminierte Gruppen die Gleichbehandlung einklagen? Zur Zeit wird diese Frage in Hinblick auf die Selbstbestimmung des eigenen Geschlechts wieder neu gestellt. Seit mit der Reform des zugrundeliegenden Gesetzes 1983 das Geschlecht im Personenstand miterfasst wird, ist es möglich, gegen die dort vorgenommene Einteilung auch rechtlich vorzugehen. Welche Geschlechter vermerkt werden können, ist dabei nirgendwo gesetzlich verankert, sondern basiert auf einem Erlass des Innenministeriums. Für eine Änderung der anerkannten Geschlechter bräuchte es in der Folge also auch keinen Parlamentsbeschluss. Das Ministerium legt die Gesetze allerdings so eng wie möglich aus. Ohne neue Gesetze oder ein Einlenken der Regierung bleibt nur der Gang vors Gericht.
Bis zur Anerkennung und Selbstbestimmung ist es jedoch ein langer Weg, von dem verschiedene Personen und Organisationen bislang diverse Teilstücke gegangen sind. Unter anderem wurde der Zugang zu einer Änderung des Geschlechtseintrags für trans Personen vereinfacht, indem der Scheidungszwang (2006) und der Operationszwang (2009) von Organisationen wie Trans X weggeklagt wurden. Als Nächstes übernahmen der Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich, kurz Vimö, und Alex Jürgen* und klagten weiter, um die Angabe eines »dritten Geschlechts« in den Formen »divers«, »inter«, »offen« oder durch Streichung des Eintrags (2018) zu erkämpfen. Umgesetzt wurde dieses Urteil erst 2020 nach Strafanzeige gegen mehrere Amtsträger. Der Prozess zum tatsächlichen Eintrag dieser neuen Optionen ist dabei höchst pathologisierend und stützt sich auf medizinische Verfahren, denen sich inter Personen häufig nicht aussetzen möchten. Für nicht-binäre sowie genderqueere Menschen gibt es nach wie vor überhaupt keinen Zugang zu diesen alternativen Geschlechtseinträgen.
Quest nach Selbstbestimmung
Aktuell sind der Verein Nicht-Binär (Venib) und Pepper als Kläger*in der Genderklage an der Reihe. »Dank der Vorarbeit konnten wir die Staffel übernehmen und weiterlaufen«, so Pepper. Seit 2008 war Pepper politisch aktiv und versuchte, auf dieser Ebene eine Lösung zu erzielen. Da sich jedoch keine reale Änderung abzeichnete, war Klagen der nächste Schritt: »Neben der Personenstandsklage, klagen wir kreuz und quer durch alle Rechtsgebiete, die sich uns anbieten auf unserem Quest nach Selbstbestimmung und Gleichberechtigung.«
Ursprünglich war die Genderklage eine Aktion von Pepper alleine, gleichzeitig wurde allerdings 2021 Venib mit einem ähnlichen Ziel gegründet. Die Zusammenarbeit lag also nahe. Mittlerweile gibt es nicht mehr nur »die eine« Genderklage, sondern vier verschiedene Personenstandsverfahren: zwei mit dem Ziel der Streichung des Geschlechtseintrags, eines für die Eintragung »nicht-binär« und eines, um »divers« auch für nicht-binäre sowie genderqueere Personen zu öffnen. Daneben laufen noch weitere nicht personenstandsbezogene Klagen. »Wir als Community klagen seit vierzig Jahren gegen den Personenstand«, so Pepper. »Jetzt dauert’s wahrscheinlich nur noch ein paar Jährchen, im Endeffekt haben wir dann nach fünfzig Jahren vielleicht endlich einen sinnvollen Zustand erreicht.«

Ein langes Verfahren
Ein Prozess gegen den Gendereintrag fängt beim Magistrat beziehungsweise der Personenstandsbehörde an, dort wird der Antrag auf Änderung gestellt. Dieser wird – so die Erwartung – erst einmal abgelehnt. Eine Beschwerde wird eingereicht und es geht zum Landesverwaltungsgericht. Alle vier derzeitigen Verfahren der Genderklage wurden in dieser Instanz bereits positiv entschieden, woraufhin die Behörden Berufung einlegten und das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) ging.
In den beiden Verfahren zur Streichung des Geschlechtseintrags gibt es mittlerweile eine Erkenntnis des VwGH: Diese widerspreche inhaltlich der Regelung, dass man einen Geschlechtseintrag haben müsse. Und das, obwohl der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits festgestellt hat, dass es diesen nicht zwangsläufig brauche. Für die Verfahren zu »nicht-binär« und »divers« gab es zu Redaktionsschluss noch keine Entschlüsse – hier würde diese Argumentation nicht funktionieren. Vom VwGH ging die Klage zurück ans Landesverwaltungsgericht, welches sich nun an der Entscheidung des höhergestellten Gerichts orientieren muss. Insofern ist der zuvor positive Bescheid nun negativ. Innerhalb von sechs Wochen können nun Rechtsmittel ergriffen und Anträge auf Revision an den VfGH und den VwGH geschickt werden. Diese haben dann wieder unbegrenzt Zeit zu entscheiden. Danach ist der Rechtsweg in Österreich erschöpft. Wenn der Bescheid am Ende immer noch negativ ist, geht es weiter zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
An sich ist das, was hier probiert wird, nichts Neues. Diese Verfahren wurden ja für trans und inter Personen bereits durchgespielt. Nun gilt es, die nächsten rechtlichen Nischen aufzubrechen und die Selbstbestimmung der Geschlechtsidentität auch nicht-binären und genderqueeren Menschen zuzusprechen. Langfristig wäre dann ein mögliches Ziel, den Geschlechtseintrag irgendwann gänzlich zu eliminieren. Denn, was sagt dieser schon wirklich über uns alle aus? Wie sinnvoll ist so eine Kategorisierung? Wie sehr limitiert sie uns und inwiefern verschleiert sie weit relevantere Unterschiede innerhalb einer einzelnen Geschlechtskategorie? Sind Körpermaße, Gesundheitsdaten und Leistungswerte nicht beispielsweise weitaus produktivere Spezifikationen in Bereichen wie Medizin oder Sport?
Selbstidentifikation
In Bezug auf den Personenstand scheint sich der Diskurs jedenfalls langsam in Richtung Self-ID zu bewegen, also hin zur Erkenntnis, dass jede Person selbst am besten weiß, welches Geschlecht sie hat. Im Weg stehen hier heraufbeschworene Bedrohungsszenarien verschiedener Medien sowie konservativer bis noch weiter rechts angesiedelter Gruppierungen, die vor Missbrauchsgefahr bei Selbstidentifikation des Geschlechts warnen. Zum Beispiel, wenn es um das Pensionsalter geht. Pepper dazu: »Wenn es Gesetze gibt, die bestimmte Geschlechter diskriminieren, dann gehört das Gesetz geändert. Wenn eine Person eine Lücke findet, mit der sie sich selbst schneller helfen kann, ist das für mich moralisch nicht verwerflich.«
Bis die Gesetzgeber*innen endlich Einsicht zeigen, wird der einzig gangbare Weg aber weiter über die Gerichte führen: »Klagen ist nicht unbedingt der Aktivismus schlechthin, aber in Österreich hat es Tradition, dass queere Rechte vom Verfassungsgerichtshof beschlossen werden und nicht vom Parlament. Es muss alles rechtlich erkämpft werden.« Wobei Gesellschaft und Recht durchaus miteinander verbunden sind: Richter*innen werden vom gesellschaftlichen Zeitgeist beeinflusst. Wenn Offenheit und Verständnis vorhanden sind, laufen die Verfahren auch einfacher ab.
Die Wirkung in die entgegengesetzte Richtung, also von der Rechtssituation auf die öffentliche Meinung, sieht Pepper kritischer: »Das Problem ist, dass speziell die genderqueere Bubble den meisten Menschen komplett wurscht ist. Bis auf eine kleine Gruppe, die versucht, Kapital aus der Hetze auf uns zu schlagen und Leute davon zu überzeugen, dass wir ein Problem seien. Der Hass, der uns entgegengeworfen wird, ist völlig unabhängig davon, was wir juristisch erreichen.« Welchen rechtlichen Geschlechtseintrag ein Mensch tatsächlich hat, ist nämlich für alle anderen im Alltag eigentlich irrelevant. Pepper: »Das fällt dir erst auf, wenn deine Dokumente nicht mit deiner Lebensrealität zusammenpassen und Räume nicht für dich gemacht sind.« Nicht-binäre und genderqueere Menschen werden hier als Ablenkung zur Zielscheibe gemacht: »Dann sind wir das Problem, und das eigentliche Problem ist keines mehr.«
Das Recht hacken
Zurzeit raten Pepper und die NGO Venib davon ab, neue Anträge zu stellen, weil diese zu keinen weiteren Erkenntnissen führen und bloß Ressourcen, Geld sowie Energie verbrauchen würden. Pepper selbst könne – zumindest im Personenstandsverfahren – auch nur still sitzen und warten. »Als Bewältigungsstrategie bringe ich jetzt halt andere Klagen ein.« So lasse sich etwa auch über Datenschutzrecht, Gleichbehandlungsrecht, Hass-im-Netz-Gesetz oder Konsument*innenrecht gegen falsche Anreden vorgehen. Um gegen Diskriminierung aktiv zu werden, brauche es jedenfalls weder dokumentierte Zuordnung noch einen Geschlechtseintrag.
»Wir betreiben kreatives Upcycling von Gesetzen, die nicht für uns gemacht wurden«, so Pepper. »Das funktioniert ganz gut, aber es wäre schön, auch eigene Rechte zu haben, die man dann durchsetzen kann. So muss man sich wehren mit dem, was da ist. Die Hoffnung ist, dass wir weniger ignoriert werden können, wenn wir beim Personenstand anfangen.«
Die Verfahren rund um Genderklagen zu führen, kostet einiges an Geld. Der Verein Nicht-Binär sammelt Spenden und sucht immer nach Unterstützung durch motivierte Jurist*innen. Weitere Informationen zum Thema gibt es unter www.venib.at und www.genderklage.at.