Von 25. bis 28. Mai ging in Innsbruck die 13. Ausgabe des Heart of Noise Festivals über die Bühne. Dabei gab es neben einem gewohnt fein kuratierten Programm Austausch, Begegnung, Kater und Kontroverse zwischen Hofgarten und Treibhaus.
Wer einiges vom Leben und wenig vom eigenen Trommelfell hält, tritt einmal im Jahr zu Pfingsten die Pilgerreise nach Innsbruck an. Dort fand heuer die bereits 13. Ausgabe des Heart of Noise Festivals statt, das sich mittlerweile locker als Institution der Alpenhauptstadt bezeichnen lässt. Allerdings hängt das wohl davon ab, wen man fragt.
Betritt man das Festival heuer am Freitag, also dem zweiten offiziellen Festivaltag, sitzen die Augenringe bereits tiefer. Schon im Vorfeld wurden budgetäre Engpässe kommuniziert, das eh schon knapp kalkulierte Durchführen des ausladenden Festivals muss dieses Jahr mit einem Aufbautag weniger auskommen. Fürs Publikum macht sich das allerdings nicht bemerkbar.
Breitenwirksame Begegnung
Die wohl bestechendste Venue des Stadtfestivals ist zugleich das Herz der Stadt: der Innsbrucker Hofgarten. Im und um den sogenannten Musikpavillon tummeln sich Artists, Festivalgäste, Familien, Rastlose, Interessierte und Angelockte. Bei offenen Türen und freiem Eintritt beginnt hier täglich das Programm am späten Nachmittag – rechtzeitig zur Teilüberwindung des Vornachtskaters. Zusätzlich finden Programm und Ausführung in Kollaboration mit Mutant Radio Tbilisi statt. Alle Shows werden live gestreamt und in den nächsten Wochen im Archiv erscheinen.
Attraktiv scheint die Location vor allem auch für Menschen zu sein, die sich ansonsten nicht unbedingt ein Ticket kaufen würden (oder es wegen Status ausverkauft gar nicht mehr könnten). So treffen bereits eingefleischte Weirdos auf die, die es noch werden können. Mit dabei sind auch Kids, die der umstehenden Crowd ein Lächeln ins Gesicht zaubern, indem sie die Kabel aus der Streaming-Kamera ziehen oder ihre Mutter während der Performance von Rojin Sharafi lauthals fragen, warum sie denn Musik spiele, »die es nicht gibt«.
Das Festival kommt bei der Bevölkerung gut an: »Mittlerweile regt sich nicht mal mehr jemand auf. Ich glaub, wir haben die dran gewöhnt«, erzählt ein langjähriges Teammitglied triumphierend. Wohlgesinnte Locals sind tatsächlich alles andere als unsichtbar. Das Heart of Noise ist das Festival, bei dem man Jahr für Jahr garantiert dieselben Gesichter sieht, um sich beim erfreulichen Gedanken zu erwischen, dass man eine Person 365 Tage lang nicht am Schirm hatte, es aber dennoch schön findet zu sehen, dass sie alive and well ist. Das soziokulturelle Milieu der Kleinstadt eben.
Aber nicht alles ist so einfach zu romantisieren: Trauer breitet sich aus bei einem der Perkussionisten der georgischen Truppe Awwwara. Das Innsbrucker Publikum ist der georgischen Sprache nicht mächtig und sein Englisch reicht für keine befriedigende Konversation aus. Doch das Heart-of-Noise-Team, Passant*innen und Besucher*innen überzeugen tröstend, dass man sich doch wirklich aneinander erfreuen kann, ohne zu sprechen. Es folgen Umarmungen, breites Grinsen – und ein paar Stunden und Vodka-Shots später wird backstage derart intensiv und international miteinander getrommelt, dass die Bierflaschen vom Tisch am Boden zerbersten, während man sich Videos von Midori Takada, Dennis Chambers und Joey Jordison zeigt und die ein oder andere Botschaft mittels Übersetzer-App überbringt. Die Sprache der Musik lässt für einen kurzen Moment glauben, dass es doch noch irgendwie möglich sein muss, auf und mit dieser Welt in Gesellschaft zu leben.
Unkonventionelle Programmierung
Das Heart of Noise ist wie eine Schachtel Pralinen: Am besten schmeckt’s, wenn man sich alles am Stück reinzieht. Denn das Mantra heißt Abwechslung, Umbruch ist der rote Faden. So wechseln Stimmung und Energie teils drastisch. In Zeiten von Tiktok will sich niemand mehr drei Stunden Drone-Performances reinziehen. Programmatisch ist das Festival mit jeder neuen Ausgabe diverser aufgestellt als im Jahr zuvor.
Die musikalische Flexibilität wird deutlich, indem man beispielsweise vom Power-Metal-Set von Boris, bei dem leider jegliche Aufforderung für die Circle Pit ins Leere läuft, in den Keller zur Ndagga Rhythm Force stolpert, nur um mit dem senegalesischen Groove-Uhrwerk auf der Bühne die eigenen Tanzskills unter Beweis zu stellen. Ablegbar unter »Interessante Kombinationen« sind auch die ruhige Cucina Povera und Ben Vince. Mit Letzterem kann man auch nach Sonnenaufgang noch auf dem Gehsteig vor Innsbrucks geschlossenen Bogenlokalen sitzen. Erneut: breitenwirksame Begegnung.
Nächtens orientiert sich das Festival im Treibhaus Keller an einer gewissen Clubhaftigkeit. Die späteren Performances liefern Barbara B, Xindl, Italo Brutalo und Remute. Dabei kann es mit einem Aperol-induced Sonnenstich schon mal von Gabber-Kick zu Knicklichter-Trash abdriften. Aber das Heart of Noise hat ein Publikum, das sich mit allem arrangiert. Auch wenn das bei einem ungenannt bleibenden Act mal so weit auf die Spitze getrieben wird, dass vor den Türen des Treibhauses die Zeit gestoppt werden kann, bis selbst die Entourage wieder verlegen lächelnd draußen zur Tschick auftaucht. Und auch dann, wenn das Wiener Noise-Trivumvirat bestehend aus Isabella Forciniti, Rojin Sharafi und Morast am Sonntag noch mal so richtig einschenkt.
Kontroverse Politisierung
Neben allem Hedonismus kommen auch bierernste Themen nicht zu kurz. Mit dem diesjährigen Claim – lautend »War Is Stupid« – macht das Festival daraus kein Geheimnis. Als in den Kommentaren auf Social Media die Frage auftaucht, wie viele Artists aus der Ukraine denn gebucht seien, wird daraufhin allerdings von einem Ukraine-Fokus Abstand genommen und das Motto zum Allgemeinplatz erklärt. »Krieg ist deppat«, hallt es aus dem wohlbehüteten Alpenstädtchen – und das stößt nicht nur auf kritiklosen Beifall. Das Treibhaus ist ausgestattet mit einem Gemälde auf dem geschrieben steht »Stop War, Stand with Ukraine«, darunter eine Passage aus Matthias Claudius’ »Kriegslied« aus dem 18. Jahrhundert: »’s ist leider Krieg – und ich begehre, nicht schuld daran zu sein!«
Shirt-Prints reichen von »Stop War« bis hin zu Nargaroth’s »Black Metal ist Krieg«. Nach der Show von Mark Ernestus’ Ndagga Rhythm Force wird vor der Tür diskutiert, warum Ernestus (Hardwax, Basic Channel) im Gruppennamen vorkommt, obwohl dieser lediglich mit verschränkten Armen am Bühnenrand steht und ob das nicht etwas von White Saviour Complex habe. Rund um das Swans-Set kamen in diversen Gesprächen die Vergewaltigungsvorwürfe der Sängerin Larkin Grimm gegen Frontman Michael Gira aus 2016 wieder hervor. Und die mit 17 Jahren vom Iran nach Österreich gekommene Rojin Sharafi spricht während ihrer Performance implizit und danach recht explizit darüber, dass sie die Frage nach dem Stand der feministischen Revolution im Iran nicht mehr hören und doch einfach von politischen Bewertungen befreit ihre Kunst machen will. Für all diese Verhandlungen liefert das Heart of Noise einen Austragungsort. Stadt und Land wären gut beraten, diese wichtigen Begegnungen in Zukunft stärker zu fördern. Anstatt die gesellschaftliche Vereinzelung in der Seilbahnkabine zu forcieren.
Ben Vince & Cucina Povera (© Thomas Manhart)
Hüma Utku (© Thomas Manhart)
Boris (© Thomas Manhart)
Boris (© Thomas Manhart)
Ndagga Rhythm Force (© Thomas Manhart)
Ndagga Rhythm Force (© Thomas Manhart)
Awwwara (© Thomas Manhart)
Awwwara (© Thomas Manhart)
Norman Westberg (© Thomas Manhart)
Swans (© Thomas Manhart)
Swans (© Thomas Manhart)
Swans (© Thomas Manhart)
Swans (© Thomas Manhart)
Rian Treanor & Ocen James (© Thomas Manhart)
Rian Treanor & Ocen James (© Thomas Manhart)
Isabella Forciniti (© Thomas Manhart)
Rojin Sharafi (© Thomas Manhart)
Morast (© Thomas Manhart)
Hatis Noit (© Thomas Manhart)
Puce Mary (© Thomas Manhart)
Puce Mary (© Thomas Manhart)
Dem Heart of Noise Festival könnt ihr im Web, auf Instagram oder Facebook folgen. Im kommenden Jahr wird es vermutlich wieder am Pfingstwochenende in Innsbruck ausgetragen.