Was würde passieren, wenn die Menschen aufhörten, immer nur davon zu reden, einen Unterschied in der Welt machen zu wollen, um stattdessen tatsächlich etwas zu tun? Dieser utopischen Idee geht die österreichische Regisseurin Johanna Moder in ihrem zweiten Spielfilm »Waren einmal Revoluzzer« auf den Grund.
Helfen? Sich engagieren? Das tun doch immer nur die anderen. Man selbst redet nur darüber, wie jenen, die aus ihrer Heimat geflohen sind, geholfen werden muss. Einem selbst fehlen ja die Mittel, die Zeit oder das Wissen. Es ist dieser gerne mal in den Raum geworfene liberale Idealismus, der zur Kernfrage für zwei Wiener Paare wird, die in »Waren einmal Revoluzzer« einen russischen Geflüchteten nach Österreich holen – nur um dann festzustellen, dass humanistische Selbstbeweihräucherung immer mit Folgen einhergeht. Der Film, der am 15. Zurich Film Festival seine Weltpremiere feierte, entpuppt sich als weitgehend gelungener Spagat zwischen zynischer Gesellschaftskritik und Familiendrama.
Die beiden Paare setzen sich zum einen aus der Richterin Helene (Julia Jentsch) und ihrem Mann Jakob (Manuel Rubey) zusammen, zum anderen aus Helenes altem Freund Volker (Marcel Mohab) und dessen Lebensgefährtin Tina (Aenne Schwarz). Als Helenes Exfreund Pavel (Tambet Tuisk) in Russland untertauchen muss, lässt er sich über Volker, der für einen Vortrag nach Moskau fährt, Geld schicken. Für Helene wäre die Angelegenheit hiermit bereits erledigt gewesen, aber nach einigen Gläsern Schnaps in Pavels Versteck lässt sich Volker zu einer Idee hinreißen. »Wir holen den Pavel nach Österreich«, lallt er während des Skype-Telefonats. Und wahrhaftig, kurz darauf ist alles organisiert. Pavel steigt in Wien aus dem Zug, um ein neues Leben zu beginnen.
Das Platzen der Wohlfühlblase
Wem es auf den ersten Blick fast zu einfach erscheint, als AlltagsbürgerIn einen russischen Geflüchteten nach Österreich zu schmuggeln, mag nicht falsch liegen. Die an amerikanische Actionthriller erinnernden Verfolgungssequenzen in der Moskauer U-Bahn werden schnell vom Alltag in Wiener Altbauwohnungen abgelöst. Zufriedenstellend darauf eingehen, wie Pavel sich an den Behörden vorbeischmuggeln konnte, tut der Film nicht. Aber das ist auch nicht die Geschichte, die er erzählen will. Moder geht es darum die »RetterInnen« in den Momenten nach ihrem »Akt von Güte« zu begleiten, wenn die nackte Realität der Verantwortung zum Tragen kommt.
Im Falle von Pavel entwickelt sich das Projekt etwas anders als gedacht. Da wäre zunächst die Tatsache, dass der Russe nicht allein anreist, sondern auch seine Frau Eugenia (Lena Tronina) und den gemeinsamen Sohn Vassili im Gepäck hat. Die erweiterte Familie stellt Helene vor eine erste Stresssituation. Vor allem, als die Familie nicht die verschreckten, hörigen Flüchtlinge verkörpern will, die sie sich erwartet hatte.
Besonders Eugenia hat sehr konkrete Ideen, wie sie weiter verfahren will. Wie sich herausstellt, ist es auch sie, die wegen politischer Aktivitäten gesucht wird, und nicht Pavel. Hier beobachtet Moder sehr pointiert, wie die ungebundene Hilfsbereitschaft Helenes und Volkers in Argwohn und – später – Panik umschwenkt. Wie sich ihre bedingungslose Unterstützung untergraben lässt von der Angst, »da mit reingezogen zu werden« und in ihrem perfekt geschusterten Leben Probleme zu bekommen.
Liberale Ideen als Lüge?
Der Film blättert so unaufgeregt, Stück für Stück eine weitere Ebene des oberflächlichen urbanen Liberalismus seiner ProtagonistInnen auf. Da sie Pavel schwer zurückschicken können, beginnen Helene und Volker die Familie quer durch die Gegend zu kutschieren und einzuquartieren. Irgendwann landen die drei gemeinsam mit Tina, die die Russen weiter unterstützen möchte, bei Jakob im Familienlandhaus. Hier folgt der Film manchmal etwas zu enthusiastisch den ausgetretenen Pfaden des idealistischen »Wir müssen zusammenhalten«-Plots. Gemeinsames Musizieren, Wein und Spaß am Dorffest schaffen die Idylle einer problemlosen, transkulturellen Verständigung.
Doch dabei bleibt es selbstverständlich nicht. Dass die beiden Paare nur oberflächlich glücklich sind und es zwischenmenschlich eigentlich brodelt, ist eine weitere Entwicklung, die der Film in den Mix wirft. So ist das Zusammenleben mit Pavels Familie der Katalysator dafür, tiefliegende Probleme, die sich vorab nicht herauskristallisiert haben, an die Oberfläche zu holen. Jakobs und Helenes Eheleben scheint doch nicht so rosig und beruflich ausgeglichen wie zunächst angepriesen, und auch Volker hat einige Leichen im Keller.
Mit der zunehmenden Ablehnung ihrer Gäste und dem Bedürfnis in der eigenen Wohlfühlzone zu bleiben, fangen die Charaktere an, sich wieder in ihren nicht wirklich zufriedenstellenden Leben zu verkriechen. Moder nutzt diese Auflage jedoch nicht, um für die ZuschauerInnen zu werten. Wenn Volker Helene ihr humanitäres Aufgeben positiv verkaufen will, dann romantisiert er ihren Minimaleinsatz als Grenzen, die andere akzeptieren müssen, da sie ja immer nur »gebe, gebe, gebe«. Mit den Konsequenzen können und müssen sich die Figuren letztendlich selbst arrangieren. Und das, so zeigt Moder, fällt vielen erschreckend einfach.
Die Weltpremiere von »Waren einmal Revoluzzer« fand am Zurich Film Festival statt. Am 6. Oktober gibt es dort noch eine Vorstellung – Tickets dafür sind hier erhältlich.