Was uns allen gehören sollte

Open Culture jetzt real-politisch: Günther Friesinger, Kurator des Paraflows, im Interview über die Bedeutung der Open Culture, die Selbstermächtigung der Bürger und die Angst der Politiker…

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Das diesjährige Paraflows – Festival für Digitale Kunst und Kulturen – thematisiert das Konzept der Open Culture: Open Source, Open Design, E-Government. Die virtuellen Räume und gesellschaftlichen Bezüge sind vielfältig. Dem Kurator Günther Friesinger ist die Realität auch wichtig – wir möchten ihm sogar unterstellen, dass er dialektischer Materialist ist. So werden die theoretischen und künstlerischen Standpunkte des Festivals plötzlich ganz irdisch. Über konkrete Ansätze eines Festivals für digitale Kunst.

Welche Konzepte der Open Culture – die sich nicht ausschließlich auf die digitale Kultur reduzieren lässt – werden beim Paraflows thematisiert?

Der freie Zugang zu Saatgut. Seit der Sesshaftigkeit haben Menschen Pflanzen und Saatgut kultiviert. Saatgut ist etwas, das eigentlich allen gehören sollte – hier ist das Konzept der Open Culture sehr stark vertreten. Es soll weiterhin möglich sein, alte Obst- und Gemüsesorten anbauen und weitergeben zu können. Nicht, dass ein großer Konzern den Markt kontrolliert und dadurch auch dafür sorgt, dass Saatgut ausstirbt. Weiterhin werden offenes Wissen, offene Gesellschaft, wie Liquid Democracy, also Mitbestimmung von unten und das Miteinbeziehen der Bürgerinnen in politische Entscheidungen thematisiert.

Eine zentrale Frage in Ihrem Paper zum Festivalkonzept lautet: Wie „können“ wir Kultur öffnen und warum „müssen“ wir sie öffnen?

Digitale Kultur ist noch eine Kultur der Eliten, d.h. sie ist eine geschlossene Kultur. Nur Insider wissen, wie man sich in digitaler Kultur am effektivsten bewegt, wie man ihre Spielregeln anwendet und dieser Zugang muss geöffnet werden, damit er Anwendung findet, niederschwelliger wird, dass er interessanter wird und einfacher. In Das Weisse Haus haben wir mit der Künstlergruppe tat ort ein "Hands-on-Projekt", einen Garten angelegt – als einen Raum, in dem Menschen miteinander reden, sich austauschen, auch Inspiration holen können. Hier sollten auch die, die etwas wissen, etwas davon hergeben, also sich öffnen.

Bietet eine Open Culture den Individuen, Konsumenten, den Prosumenten und der Kunst besondere politische Handlungsfähigkeiten?

Ja, eine offene Kultur lädt zum Mitmachen ein – ob es um offene Datensätze geht oder große Datenbanken, wie Wikipedia. Nur wenn wir uns selbst ermächtigen, können wir unsere Gesellschaft bereichern. Es kann nicht besser weiter gehen, indem alle nur Konsumenten sind.

Offene Kultur ist die Keimzelle der Weiterentwicklungen unserer Gesellschaft. Diese Weiterentwicklung wird oft erst über Jahrtausende wirklich sichtbar. Kein Mensch hat vor fünftausend Jahren ein Patent angemeldet und Lizenzen eingefordert. In unserer Gesellschaft heute wird auf alles ein Patent angemeldet, was nun schon wieder ein Hemmschuh ist – wodurch Entwicklungen und Ideen gebremst werden. Ich selbst bin Komponist und in diesem Berufsfeld kommt es oft vor, dass sehr tolle Theorien entwickelt werden und diese geheim gehalten, ein regelrechter Geheimkult kultiviert wird. Das führt dazu, dass Theorien nicht weiterentwickelt werden können, obwohl sie es Wert wären.

Bild(er) © Günther Friesinger, paraflows
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